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Christian Worch: Penetrante Observation

Am 11. April, am frühen Abend, klingelten zwei zivil gekleidete Männer bei einem sehr jungen Nachbarn von mir, zeigten Dienstausweise vor, die sie als Kriminalpolizisten auswiesen, und wollten wissen, wer denn in diesem Haus so alles wohne. Mein gerade erst vor wenigen Monaten 18 Jahre alt gewordener Nachbar, der in seinem Leben bisher noch nie mit der Polizei zu tun gehabt hatte, antwortete wahrheitsgemäß, das sei die Familie X, Frau Y und Herr Worch. Dieser Herr Worch interessierte die beiden Kriminalisten: Ob er denn im Hause eine eigene Wohnung habe? – Ja, lautete die Antwort. – Und wann Herr X ihn das letzte Mal gesehen hätte? – Nach kurzem Nachdenken antwortete mein Nachbar, gestern abend. Daraufhin verabschiedeten die beiden sich.

Weniger als fünf Minuten später erfuhr ich von dem Vorgang. Bemerkenswert ist übrigens der Umstand, daß ich zu dem Zeitpunkt zuhause war. Es gibt neben der Haustür auch ein Klingelschild mit meinem Namen, und ich vermag keinen Grund zu sehen, warum die beiden Leute bei ihren Nachforschungen einen meiner Nachbarn belästigt haben, statt einfach mal bei mir zu klingeln und mich zu fragen …

Also schrieb ich dem Landeskriminalamt. Zunächst einmal erstattete ich – rein vorsorglich – Strafanzeige wegen Amtsanmaßung und Urkundenfälschung für den Fall, daß die beiden Polizisten gar keine Polizisten waren, sondern Antifaschisten, Journalisten oder sonstige unbefugte Leute. Im Zeitalter von Scannern, Computern und Kartendruckern ist es wohl kein Kunststück, Dienstausweise so zu fälschen, daß der unbefangene Laie (der niemals vorher in seinem Leben einen auch nur gesehen hat) sie für echt hält.

Für den wahrscheinlicheren Fall allerdings, daß die Herrschaften „echt“ waren, wollte ich dann gern wissen, warum sie nicht einfach bei mir selbst geklingelt hätten, der ich ja nun im Hause war. Denn wenn es einen nachvollziehbaren und legalen Rechtsgrund für ihre Nachforschungen gegeben hätte, wäre ja wohl nichts naheliegender und in dem Fall auch leichter gewesen, als mich selbst zu fragen.

Zwei Wochen später, am 25. April, bekam ich Besuch; diesmal vormittags, nicht am frühen Abend. Es waren zwei zivile Herren, die sich auswiesen und sich mir als Mitarbeiter der Kripo Schwerin vorstellten. Korrekter gesagt ist es die KPI Schwerin, aber sie sagten nur Kripo Schwerin. Kann ich verstehen. Wenn ich für eine Inspektion statt für eine Kriminalpolizei-Direktion arbeiten würde, würde ich den genauen Charakter der Dienststelle vielleicht auch nicht jedermann auf die Nase binden. Eine KPI ist immerhin eine Nummer billiger als eine KPD. Was nicht damit zusammenhängt, daß das auch die Abkürzung für eine bolschewistische Partei ist; gemeint ist hier mit KPD natürlich „Kriminalpolizei-Direktion“!

Man teilte mir mit, man habe aus einer Internet-Veröffentlichung unserer Partei erfahren, daß in den Städten Parchim und Goldberg von uns Flugblätter verteilt worden seien. Und bei den Stichworten „Partei DIE RECHTE“ und „Parchim“ sei der Gedanke an Herrn Christian Worch ja wohl naheliegend. Daher habe man einmal feststellen wollen, ob ich tatsächlich noch an dem Ort wohne, wo ich gemeldet sei.

Das fand ich nun ein wenig seltsam. Ich sagte den beiden Männern, soweit ich polizeiliche Aufgaben verstanden hätte, sei zu ermitteln, wenn eine Straftat oder mindestens eine Ordnungswidrigkeit vorliege; und ich wüßte nun wirklich nicht, was an unseren Wahlkampfflugblättern oder deren Verteilung strafbar sein sollte.

Rasch wechselte man die Argumentationslinie. Naja, es ginge ja auch darum, daß öffentlich bekanntwerdende Aktivitäten von unserer Seite her gelegentlich dazu führten, daß auch andere Leute, die ich vielleicht Linksextreme nennen würde, hervorrufen; und man sei schließlich als Mitarbeiter von MAEX für Extremismus von allen Seiten zuständig.

Aha … Ob man einfach so die Katze aus dem Sack hatte lassen wollen? Oder sich bei meinem Insistieren doch ein wenig verplappert hat und mich eigentlich gar nicht wissen lassen wollte, daß man zu MAEX gehört, sondern sich mit der eher harmlosen Formulierung „Kriminalpolizei Schwerin“ ein wenig tarnen wollte?

Nun mußte ich den beiden Herren allerdings sagen, daß ich als zumindest „abstrakt“ gefährdete Person in früheren Jahren schon mal mit der Personenschutzabteilung des LKA Mecklenburg-Vorpommern zu tun gehabt hätte; und wenn sich da Kompetenzen in den letzten ungefähr acht Jahren nicht grundlegend verschoben hätten, MAEX mit dem Bereich Personenschutz ja wohl nun recht wenig zu tun hätte….

Eine wirklich konkrete Antwort darauf bekam ich nicht. Deshalb sah es für mich so aus, als ob das Gespräch mir keine essentiell neuen Erkenntnisse mehr bringen würde. Ich ließ die beiden Herren daher wissen, daß ich ziemliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Form der Ermittlung hätte, aber es zwecklos sei, dies mit ihnen auszudiskutieren, sondern ich mich stattdessen lieber an die Dienststelle, die sie beauftragt hatte, wenden würde.

Was ich dann mit eingeschriebenem Brief am nächsten Tag auch tat. Wobei ich insbesondere neuerlich die Frage aufwarf, warum die Beamten bei ihrem ersten Besuch am 11. April nicht unmittelbar versucht hatten, mich zu kontakten, sondern stattdessen meinen jungen Nachbarn angesprochen hatten. Nicht, weil sie ihm zufällig vor der Haustür begegnet waren, sondern indem sie bei ihm geklingelt hatten.

Die Antwort hierauf dürfte interessant werden.

Ich will einer formellen Antwort der befragten Dienststelle nicht unbedingt vorgreifen, aber als politisch erfahrener Mensch hat man dann doch so seine Vermutungen. Oder, wie Schiller gedichtet hätte: „Man spürt die Absicht und ist verstimmt.“

Sondereinheiten wie „MAEX“ in Mecklenburg-Vorpommern, „MEGA“ in Brandenburg oder „SOKO REX“ in Sachsen oder wie sie von Land zu Land verschieden heißen, sind nicht allein für gewöhnliche polizeiliche Aufgaben gegründet worden. In rechtsstaatlich außerordentlich fragwürdiger Weise gehört zu ihrem erklärten Aufgabenspektrum auch, „die Szene zu verunsichern“. Wobei natürlich in allererster Linie die rechte Szene gemeint ist. Daß diese Spezialeinheiten sich hin und wieder auch mit Linksextremisten oder möglicherweise inzwischen auch mal mit Islamisten befassen, dürfte dabei wohl eher eine Art von Augenwischerei sein.

Bevor man in den frühen 90-er Jahren solche Einheiten gründete, lautete das polizeiliche Schlagwort für Aktivitäten dieser Art „penetrante Observation“. Das war zumindest ein bißchen ehrlicher als die später aufgekommenen verschleiernden Umschreibungen. Auch wenn es in der Sache exakt das gleiche war.

Nun ist es aber ein etwas hartes Brot, einen politischen Aktivisten mit über vierzigjähriger Erfahrung „zu verunsichern“. Hätten die Herrschaften eine (bewaffnete!) Fliegende Untertasse UND eine Handvoll grüner Marsmännchen UND würden die mir bei einem spätabendlichen Spaziergang mit dem Hund begegnen, DANN wäre ich VIELLEICHT verunsichert. Zwei Kriminalpolizisten, gleichviel von welcher Dienststelle, sind dazu irgendwie nicht so recht geeignet.

Bedenklich bleibt der Fall aber aus grundsätzlichen Erwägungen heraus schon. Auslöser der rechtlich fragwürdigen Ermittlungen war immerhin eine Wahlkampfaktion, aus der wir naturgemäß kein Geheimnis gemacht haben, weil ein geheimer Wahlkampf wohl weniger geeignet ist, Stimmen einzuwerben. Und die Gleichsetzung eines Bundesvorstandsmitglieds einer Partei, die vom Bundeswahlausschuß für die Europa-Wahl zugelassen ist und eine durchaus nicht unrealistische Chance hat, zumindest ihre Spitzenkandidatin in das höchste Parlament des Kontinents zu entsenden, mit einem beliebigen Angehörigen einer höchst amorphen „Szene“ ist schon ein wenig frech.

Ob man mit einem kleinen Schuß Paranoia oder ein wenig böswillige Phantasie das schon als einen wenigstens niederschwelligen Versuch der Wahlbehinderung betrachten kann?

Wir werden uns darüber noch einmal Gedanken machen, sobald die KPI Schwerin die Freundlichkeit hatte, die Frage, warum man meinen Nachbarn behelligt hat und nicht direkt mich, schriftlich zu beantworten.

Verweigere dich den Anquatschversuchen der Systemwächter. Sage deutlich, dass du zu keinem Gesprächen mit ihnen bereit bist. Es besteht überhaupt keine Pflicht mit Bullen oder Agenten zu sprechen. Es ist zum Schutz des Widerstandes und zur eigenen Sicherheit wichtig, dass solche Anquatschversuche bereits am Anfang konsequent abgeblockt werden.

Verfassungsschutz – Anquatschversuche

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