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Grenzen der Notwehr und Nothilfe – Was ist erlaubt?

Ob auf dem Pausenhof in der Schule, auf offener Straße oder in den eigenen vier Wänden: Körperliche Gewalt gibt es so gut wie überall. Es gibt sie in den verschiedensten Situationen sowie in unterschiedlichen Ausmaßen. Ihre Folgen reichen von kleinen Kratzern oder Blutergüssen bis hin zu schweren Verletzungen und groben Misshandlungen, die eine medizinische Versorgung erfordern. In schwerwiegenden Fällen kann körperliche Gewalt auch zum Tod eines Menschen führen.

Doch die Anwendung von Gewalt muss nicht zwangsläufig eine strafbare Handlung darstellen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist sie sogar gerechtfertigt. Zu denken sei hierbei an Fälle der Notwehr oder der Nothilfe. Im Folgenden wollen wir Ihnen die genannten Begriffe näher erläutern. Dabei befassen wir uns mit den Voraussetzungen und den gesetzlichen Regelungen der Notwehr und der Nothilfe sowie deren Grenzen. Ab wann ist Zivilcourage erlaubt? In welchem Ausmaß darf sich gegen Gewaltanwendungen zur Wehr gesetzt werden? Was bedeutet Notwehrüberschreitung? Wie beurteilen die Gerichte Fälle der Notwehr? Hier bekommen Sie die Antworten auf diese und weitere Fragen.

Notwehr und Nothilfe: Was ist das?

Zunächst ist unter dem Begriff der Notwehr ein sogenannter Rechtfertigungsgrund im deutschen Strafrecht zu verstehen. Grundsätzlich macht sich wegen einer vorsätzlichen Tat nur strafbar, wer den Tatbestand einer Norm erfüllt und zudem in rechtswidriger und schuldhafter Weise gehandelt hat. Ein Tatbestand ist die Gesamtheit aller tatsächlichen voraussetzungen, die eine Gesetzesnorm zur Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge vorschreibt.

Unterliegt ein Täter indes einem Rechtfertigungsgrund, so entfällt das Merkmal der Rechtswidrigkeit. Wer also in Notwehr tätig wird, handelt nicht rechtswidrig und macht sich mithin auch nicht strafbar. Dem Ganzen liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand einen gegen sich verübten oder drohenden Angriff einfach so hinnehmen und erdulden muss, sondern sich gegen einen solchen zur Wehr setzen darf. Hier gilt im modernen Sprachgebrauch der Grundsatz: „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.“

Dabei bedeutet Notwehr diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst abzuwenden.

Auch die Nothilfe stellt einen Rechtfertigungsgrund dar. Sie ist mit der Notwehr eng verwandt. Der Unterschied ist dabei der, dass nicht ein eigenes Rechtsgut verteidigt wird, sondern das eines anderen. Als Rechtsgüter werden rechtlich geschützte Interessen einer Person bezeichnet wie beispielsweise das Interesse an der körperlichen Integrität, dem Eigentum oder der persönlichen Freiheit. Hier richtet sich der Angriff nicht gegen den sich zur Wehr Setzenden, sondern gegen einen Dritten. Statt von Nothilfe ist oftmals auch von Notwehrhilfe die Rede.

Der Begriff der Zivilcourage ist kein juristischer Terminus im vorstehenden Sinne, sondern vielmehr als eine Art Oberbegriff zu verstehen. Zivilcourage meint eine bestimmte Verhaltensform, in der sich eine Person gegen psychische und/oder physische Verletzungen eines anderen einsetzt.

Wörtlich setzt sich der Begriff der Zivilcourage aus den Worten zivil (lateinisch: civilis, also „bürgerlich“) und courage (französisch: „Mut“) zusammen. Gewissermaßen könnte Zivilcourage auch mit „sozialer Mut“ umschrieben werden.

Zivilcourage kann sich verbal oder auch physisch darstellen. Wird beispielsweise eine Person gemobbt und ein anderer zeigt Einsatz, indem er den Betroffenen in Schutz nimmt, ist dies als zivilcouragiertes Verhalten zu verstehen.

Ebenso fällt aber auch ein tätlicher, also körperlicher Eingriff in eine Bedrohungssituation für einen anderen unter den Begriff der Zivilcourage. So verhält es sich beispielsweise, wenn jemand geschlagen oder in sonstiger Weise verletzt wird und ein anderer schreitet ein, um den Angriff gegen das Opfer abzuwehren. In dem Fall kann es sich unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen um einen Fall der oben bereits erwähnten Nothilfe handeln.

Zivilcourage: Voraussetzungen zur Notwehr und Nothilfe

Notwehr und Nothilfe finden ihre gesetzliche Grundlage in § 32 des Strafgesetzbuches (kurz: StGB). Darin heißt es:

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Die Voraussetzungen der Nothilfe sind entsprechend denen der Notwehr. Insofern ist § 32 Absatz 2 Alternative 2 StGB einschlägig („[…] von einem anderen abzuwenden.)

Damit die Notwehr oder die Nothilfe als Rechtfertigungsgründe greifen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Wann Zivilcourage gezeigt werden kann, hängt also von den genauen Umständen der Situation ab. Nur wenn alle Merkmale erfüllt sind, ist eine derartige Handlung erlaubt.

Bestehen einer Notwehrlage

Zunächst setzt die Notwehr das Vorliegen einer sogenannten Notwehrlage voraus. Eine solche ist dann gegeben, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt.

Unter einem Angriff ist wiederum jede Bedrohung rechtlich geschützter Interessen zu verstehen, die durch ein menschliches Verhalten verursacht wird. Die Bedrohung beispielsweise durch ein Tier oder aber durch eine Naturgewalt ist indes nicht unter den Begriff zu fassen.

Zu den geschützten Rechtsgütern der Notwehr und Nothilfe zählen ausschließlich sogenannte Individualrechtsgüter. Der Begriff meint Rechtsgüter eines Einzelnen und nicht etwa solche der Allgemeinheit bzw. der Öffentlichkeit. Geschützt sind beispielsweise das Leben, das Eigentum, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit einer Person. Zu den Rechtsgütern der Allgemeinheit ist hingegen beispielsweise die Sicherheit des Straßenverkehrs zu verstehen. Diese betreffen Notwehr und Nothilfe nicht.

Des Weiteren muss der Angriff gegenwärtig sein. Dies ist dann der Fall, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits begonnen hat oder aber noch fortdauert. Es muss also nicht erst abgewartet werden, bis eine Person tatsächlich zuschlägt oder handgreiflich wird, bevor gehandelt werden darf.

Doch ab wann gilt ein Angriff als “unmittelbar bevorstehend”? Die Rechtsprechung setzt hier dieselben Maßstäbe an wie bei der Beurteilung des Versuchs einer Straftat. Dieser ist in § 22 StGB geregelt. Dabei wird für den Eintritt ins Versuchsstadium der Moment beziffert, in dem der Täter unmittelbar zur Tat ansetzt, er sich also subjektiv denkt: „Jetzt geht’s los!“

Beispiele – ab diesem Moment setzt eine Person unmittelbar zur Tat an – : Eine Person holt zum Schlag aus. Jemand zückt ein Messer, um zuzustechen. Jemand legt den Finger an den Abzug einer Waffe, um zu schießen. Jemand setzt mit einem Werkzeug an einer Tür an, um diese aufzubrechen. Ab dem Moment gilt auch ein Angriff als unmittelbar bevorstehend.

Eine Verteidigungshandlung ist außerdem bis zu dem Moment gerechtfertigt, in dem die Tat beendet ist. Wann dies der Fall ist, hängt von dem jeweiligen Delikt ab. Für einen Diebstahl ist der Zeitpunkt der Beendigung der Tat erst mit der Sicherung der Beute erreicht. Ein flüchtiger Dieb, der gerade noch dabei ist, vom Tatort wegzurennen, kann also noch im Sinne der Notwehr und Nothilfe aufgehalten werden. Die Beute ist erst dann gesichert und die Tat beendet, wenn diese ihren vollständigen Abschluss gefunden hat und der Dieb beispielsweise seine Wohnung oder sein Lager erreicht hat. Wurde die Tat beendet, ist es zu spät für den Einsatz von Zivilcourage.

Anmerkung: Der Zeitpunkt der Beendigung der Tat ist nicht zu verwechseln mit dem der Vollendung, bei dem “lediglich” die gesamten Merkmale des Straftatbestandes erfüllt sind. Beim Vergehen des Diebstahls ist dies beispielsweise der Moment, in dem der Täter eine fremde Sache weggenommen hat.

Der Angriff, gegen den sich zur Wehr gesetzt werden soll, muss ferner rechtswidrig sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn er gerechtfertigt ist, der Täter also selbst einem einschlägigen Rechtfertigungsgrund unterliegt. Insoweit gilt der Grundsatz: „Keine Notwehr gegen Notwehr.“

Notwehrhandlung: Was ist das?

Notwehr setzt neben der zuvor beschriebenen Notwehrlage auch eine entsprechende Notwehrhandlung voraus. Als solche wird diejenige Handlung bezeichnet, die zur Abwehr eines Angriffs getätigt wird. Sie darf sich ausschließlich gegen den Angreifer selbst richten und nicht etwa gegen Dritte.

Um dies tun zu können sind andere Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe in Betracht zu ziehen wie beispielsweise der rechtfertigende Notstand. Wie sich dieser von der Notwehr/Nothilfe abgrenzt, erläutern wir Ihnen kurz in einem der nachfolgenden Abschnitte.

Die Handlung in Notwehr bzw. in Nothilfe muss erforderlich sein. In diesem Merkmal findet die Notwehr ihre erste Grenze. Erlaubt ist nämlich nur eine Verteidigung, die sich als das relativ mildeste Mittel gleicher Effizienz darstellt.

Beispiel: A wird von dem körperlich unterlegenen B angegriffen. Ein beherzter Faustschlag würde den Angriff bereits beenden. Nicht erforderlich wäre also eine gravierendere Verteidigungshandlung wie beispielsweise ein Schuss mit einer Waffe oder der Schlag mit einem Baseballschläger. Jene Handlungen wären in dem konkreten Fall nicht erforderlich und somit nicht von der Rechtfertigung durch Notwehr bzw. Nothilfe umfasst.

Zu fragen ist also immer danach, welche Möglichkeiten der Verteidiger hatte und welche davon die mildeste unter allen effektiven Methoden zur Angriffsbeendigung war. Hierbei gilt allerdings, dass ein Angegriffener nicht flüchten muss, um einen Angriff zu beenden, denn diese Möglichkeit könnte ansonsten nahezu immer als milder in Betracht gezogen werden und das Notwehrrecht liefe sozusagen leer. Insoweit gilt der bereits erwähnte Grundsatz: „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.“

Für den Einsatz von Schusswaffen gilt bei der Notwehr und Nothilfe eine Art Stufenverhältnis, je nach Art des Angriffs. Dieses sieht wie folgt aus:

  • 1. Stufe: Zunächst soll der Gebrauch der Waffe angedroht werden
  • 2. Stufe: Abgeben eines Warnschusses
  • 3. Stufe: Bleibt dies erfolglos, soll ein nicht tödlicher Schuss auf den Angreifer gerichtet werden.
  • 4. Stufe: Für den Fall dass ein solcher den Angriff nicht zu beenden vermag, ist ein tödlicher Schuss abzugeben.

Denkbar sind indes durchaus Fälle, in denen dem Angegriffenen aber keine andere Wahl bleibt, als unverzüglich einen tödlichen Schuss abzugeben. Wird beispielsweise von einer körperlich deutlich überlegenen Person mit einem Messer auf jemanden eingestochen, kann durchaus auch ein unverzüglicher tödlicher Schuss unter die Rechtfertigungsgründe der Notwehr und Nothilfe fallen.

Keine Prüfung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip

Bestimmte Rechtfertigungsgründe im deutschen Strafrecht, beispielsweise der rechtfertigende Notstand, erfordern eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter. Hier darf beispielsweise das Rechtsgut Eigentum nicht auf Kosten des Rechtsgutes Lebens verteidigt werden. Diese Abwägung wird als Verhältnismäßigkeit bezeichnet.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet bei Notwehr und Nothilfe jedoch gerade keine Anwendung. Es wird nicht danach gefragt, inwieweit sich die gegenüberstehenden Rechtsgüter in ihrer Wertigkeit entsprechen oder eben nicht entsprechen. Eine Körperverletzung kann indes, je nach Einzelfall, durch eine tödliche Notwehrhandlung gerechtfertigt sein, sofern sich der Angriff eben nicht auf eine andere Art und Weise beenden lässt und somit angemessen und geboten ist. Gleichermaßen kann sich jemand mittels körperlicher Gewalt gegen einen Diebstahl schützen, obschon das Rechtsgut der körperlichen Integrität im Vergleich zum Eigentum ein höherer Rang beizumessen ist.

Einzig im Rahmen der Gebotenheit (zu der wir im nachfolgenden Abschnitt kommen), wird für Fälle extremer Missverhältnisse auch für die Notwehr eine Art Verhältnismäßigkeit geprüft. Ein derartiger Fall läge beispielsweise vor, wenn jemand mit einer Pistole auf einen im Kirschbaum sitzenden Kirschendieb schießen würde. Hier wäre das Missverhältnis der geschützten Rechtsgüter zu gravierend und die Notwehr wäre aufgrund dem Merkmal fehlender Gebotenheit nicht erfüllt.

Unter den sich gegenüberstehenden Rechtsgütern erfolgt ansonsten aber grundsätzlich keine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Hinsichtlich der Mittel, die innerhalb der Notwehr zur Verfügung stehen, muss indes wie erwähnt das relativ mildeste der gleichen Effizienz erwählt werden. Dies vollzieht sich jedoch unabhängig vom Rang der Rechtsgüter.

Gebotenheit der Notwehrhandlung

Um als Rechtfertigungsgrund zu greifen, muss die aus Notwehr getätigte Handlung ferner geboten sein. An dem Merkmal der Gebotenheit würde es fehlen, wenn die Handlung rechtsmissbräuchlich wäre. Dies bedeutet, dass das Recht auf Notwehr nicht missbraucht werden darf. Für folgende Konstellationen ist dies allgemein in Literatur und Rechtsprechung anerkannt. Hier kommt ein Notwehrrecht entweder gar nicht oder nur unter Einschränkungen in Betracht.

  • Jemand wehrt sich gegen einen völlig harmlosen Angriff oder Eingriff. (Beispiel: versehentliches Anrempeln in einem überfüllten Bus)
  • besteht ein extremes Missverhältnis von angegriffenem und verletztem Gut. (Beispiel: Der oben erwähnte Kirschendieb in der Baumkrone)
  • Angriffe durch Kinder, ersichtlich Irrende, offensichtlich schuldlos Handelnde oder nahestehende Personen (hier unterliegt das Notwehrrecht Einschränkungen, welche unten erläutert werden)
  • Provokationsfälle (Auf die Fälle der Provokation werden wir in einem gesonderten Abschnitt noch genauer eingehen.)

Bei Angriffen durch Kinder bzw. sonstige schuldlos Handelnden muss im Rahmen von Notwehr und Nothilfe stets ein bestimmtes Stufenverhältnis gewahrt sein, welches sich wie folgt darstellt:

  • Ausweichen
  • Schutzwehr (= defensive Verteidigung wie Ducken oder Flucht)
  • Trutzwehr (= aktive Abwehr eines Angriffs durch einen Gegenangriff)
Notwehr ist hier nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen, also als letztes noch verbleibendes Mittel zur Verteidigung.

Was ist eine Notwehrprovokation?

Die Notwehr findet ihre Grenzen ferner unter anderem in Situationen der sogenannten Notwehrprovokation.

Um eine solche handelt es sich, wenn der Täter eine Notwehrlage selbst schafft, um gerechtfertigt handeln zu können.

Differenziert wird nach einhelliger Ansicht danach, ob die besagte Provokation absichtlich herbeigeführt wurde oder in unbeabsichtigter, dafür aber vorwerfbarer Art und Weise. Ersteres wird als sogenannte Absichtsprovokation bezeichnet.

Beispiel: T provoziert P verbal so lange, bis diesem der Kragen platzt und er auf ihn losstürzt. Dabei plante T von Anfang an, sich sodann körperlich wehren zu dürfen – unter dem Deckmantel der Notwehr.

Wie derartige Fälle zu beurteilen sind und inwieweit dem Notwehrrecht hier Grenzen gesetzt sind, ist umstritten. Die herrschende Rechtsprechung geht davon aus, dass in solchen Situationen ein Notwehrrecht nicht besteht. Begründet wird dies damit, dass die scheinbare Verteidigung tatsächlich einen rechtswidrigen Angriff darstellt, der in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise durch Notwehr getarnt wurde.

Eine andere Ansicht beurteilt, ob und inwieweit ein Ausweichen möglich gewesen wäre. Sofern es dem Täter nicht möglich war, dem Provozierten zu entweichen, bliebe das Notwehrrecht erhalten. Eine Mindermeinung wiederum lässt das Notwehrrecht vollumfänglich bestehen mit der Begründung, einer Provokation müsse generell standgehalten werden.

Sofern der gängigen Rechtsprechung in Deutschland gefolgt wird, findet das Recht zur Notwehr aber in Fällen der Absichtsprovokation seine Grenzen. Es fehlt sodann an der Gebotenheit der Notwehrhandlung und schlussendlich an einer Rechtfertigung nach § 32 StGB.

Bei nicht beabsichtigter, fahrlässiger Provokation sind die Rechtsfolgen ebenfalls strittig.

Beispiel: A provoziert den P über den gesamten Abend hinweg, hat dabei aber nicht im Sinn, sich später gegen einen herausgeforderten Angriff zu wehren.

Hier wird zum Teil die Auffassung vertreten, das Notwehrrecht bestünde vollumfänglich weiter. Andere Stimmen hingegen schränken das Recht zur Notwehr in derartigen Konstellationen ein. Danach bestünde eine Abstufung, gemäß derer sich der Provokateur zu verhalten habe. Sie verlangt zunächst ein Ausweichen vor dem Angriff, sodann den Übergang zur Schutzwehr und als ultima ratio eine Handlung in Trutzwehr.

Die subjektive Komponente bei Notwehr und Nothilfe

Die Rechtfertigung der Notwehr sowie die aus Zivilcourage getätigte Nothilfe erfordern stets auch das Vorliegen einer subjektiven Komponente. Diese berücksichtigt die Motive und Absichten des Handelnden.

Zum einen muss der Verteidiger in Kenntnis der Notwehrlage sein. Wer also nicht weiß, dass er angegriffen wird, kann sich nicht auf einen der besagten Rechtfertigungsgründe berufen, um seine Tat zu rechtfertigen.

Für Fälle der Nothilfe gilt dies ebenfalls. Auch eine andere Person kann nur dann Zivilcourage zeigen und jemanden in Nothilfe verteidigen, wenn sie Kenntnis über die bestehende Bedrohungslage hat.

Überdies muss nach der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung auf Seiten des Verteidigers ein entsprechender Verteidigungswille bestehen. Dies sei aus den in § 32 Absatz 2 StGB enthaltenen Worten „um […] zu“ herzuleiten. Nur vereinzelt wird ein solcher Rechtfertigungswille als entbehrlich erachtet.

Zivilcourage ohne subjektiven Verteidigungswillen?

Die Frage ist, wie es rechtlich zu werten ist, wenn eine Person zwar aufgrund einer bestehenden Notwehrlage handelt, dies auch in der erforderlichen und gebotenen Art und Weise tut, ein subjektives Notwehrelement jedoch nicht vorliegt.

Die Gerichte urteilen in derartigen Fällen nach vollendetem Delikt. Das heißt, dass der Täter bestraft wird. Begründet wird diese Ansicht damit, dass sich ein Täter in einer derartigen Situation in einer Art umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum befindet. Bei einem “normalen” Erlaubnistatbestandsirrtum geht der Täter von falschen Annahmen aus. Er interpretiert in eine Situation die Notwendigkeit einer Notwehrhandlung hinein, obwohl in Realität keinerlei Gefahr vorliegt. Diese Konstellation wird als Putativnotwehr bezeichnet.

Beispiel: Person P glaubt, jemand breche bei ihr zu Hause ein. Da sie schlecht sieht und es dunkel ist, schlägt sie den vermeintlichen Einbrecher nieder. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass es sich um den Bruder des P handelte, der keinerlei Einbruchsabsichten hegte, sondern nur zu Besuch war. P unterlag hier einem Erlaubnistatbestandsirrtum. Wäre der Bruder des P tatsächlich ein Dieb gewesen, wäre seine Abwehrhandlung in Notwehr gerechtfertigt.

In solchen Konstellationen entfällt gemäß einer entsprechenden Anwendung von § 16 StGB Absatz 1 eine Strafbarkeit mangels Vorsatz – der P wird also nicht bestraft.

Die Vorschrift besagt:

Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

Beim umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum hingegen liegt eine Notwehrsituation zwar tatsächlich vor, der Täter kennt deren Umstände allerdings nicht. Nach Ansicht der Rechtsprechung entlastet diese Konstellation einen Täter nicht.

Beispiel: Der flüchtige Dieb D wird von A niedergeschlagen. A wiederum hatte keinerlei Kenntnis über den verübten Diebstahl und darüber, dass D auf der Flucht war. Zwar lag objektiv eine Notwehrlage vor und auch die Notwehrhandlung war erforderlich und geboten. Weil A dies aber nicht wusste, handelte er aus einem anderen Antrieb: Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind nicht erfüllt. A ist in dem Fall wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu bestrafen.

Grenze Notwehrexzess: Was ist das?

Selbstverteidigung und Zivilcourage gelten nicht schrankenlos. Eine Grenze bilden die Fälle des sogenannten Notwehrexzesses. Hier findet jeweils eine Überschreitung der Notwehr von Seiten des Verteidigers statt, die sich auf unterschiedliche Aspekte erstreckt. Abzugrenzen sind die Begriffe „intensiver Notwehrexzess“, „extensiver Notwehrexzess“ und „Putativnotwehrexzess“.

Intensiver Notwehrexzess

Beim intensiven Notwehrexzess wehrt sich der Angegriffene in einer Art und Weise, die das erforderliche Maß einer Verteidigung überschreitet. In einer derartigen Situation greift die Rechtfertigung der Notwehr grundsätzlich nicht.

Beispiel: Jemand wird angegriffen und wehrt sich, indem er mit einem Messer zusticht. Der Angreifer war jedoch körperlich unterlegen, sodass auch ein Faustschlag den Angriff hätte abwehren können.

Etwas anderes gilt allerdings für Fälle, in denen der Täter aus sogenannten asthenischen Affekten handelte, nämlich aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken. In derartigen Konstellationen greift die Regelung des § 33 StGB.

Darin heißt es:

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Der herrschenden Ansicht zufolge handelt es sich bei § 33 StGB allerdings nicht um einen Rechtfertigungs- sondern um einen sogenannten Entschuldigungsgrund. Das bedeutet, dass der in Verteidiger zwar rechtswidrig handelte, aber keine Schuld trägt.

Sogenannte sthenische Affekte wie Wut, Zorn, Kampfeseifer oder ähnliches sind von § 33 StGB hingegen nicht umfasst. Allerdings schadet es nicht, wenn derartige Affekte zusätzlich zu den asthenischen hinzutreten. Die Rede ist dann von einem sogenannten Motivbündel.

Beispiel: Jemand handelt aus Verwirrung und Furcht und zudem auch noch aus Zorn.

Extensiver Notwehrexzess

Von einem extensiven Notwehrexzess ist die Rede, wenn der Angegriffene sich gegen einen Angriff wehrt, der nicht (mehr) gegenwärtig ist, weil er entweder bereits beendet wurde oder aber noch nicht begonnen hat. Die herrschende Ansicht wendet in derartigen Fällen § 33 StGB nicht an. Weder Rechtswidrigkeit noch Schuld des Täters entfallen. Wer im extensiven Notwehrexzess handelt, macht sich somit der überwiegenden Auffassung zufolge strafbar.

Putativnotwehrexzess

Bei einem Putativnotwehrexzess überschreitet der Verteidiger sozusagen in zweierlei Hinsicht seine Grenzen: Zum einen irrt er über das Bestehen einer Notwehrlage und zum anderen überschreitet er auch noch die Grenzen seiner Verteidigung.

Beispiel: In der Abenddämmerung begegnet A dem B, der aus Spaß mit einer Fahne in der Luft herumwirbelt. A glaubt, B wolle ihn mit einem Schlagstock angreifen und erschießt diesen. B war körperlich schmächtiger als A, sodass hier auch ein beherzter Faustschlag zur Abwendung des vermeintlichen Angriffs durch B gereicht hätte.

Den überwiegenden Stimmen der Rechtsprechung zufolge ist in derartigen Fällen die Norm des § 16 Absatz 1 StGB entsprechend, also analog, anzuwenden. Hier entfällt also der Vorsatz des Täters. Eine Strafbarkeit kann allerdings wegen Fahrlässigkeit erfolgen.

Andere Ansichten wiederum greifen auf die Regelung des § 17 StGB zurück, in der es heißt:
Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Abgestellt wird nach dieser Auffassung also auf das Merkmal der Vermeidbarkeit. Lag diese vor, entfällt die Schuld nicht und ein Täter wird bestraft. War der Irrtum indes unvermeidbar, handelt ein Täter ohne Schuld und er bleibt straffrei.

Auch bei der Nothilfe wird ein Exzess der zuvor beschriebenen Art und Weise entsprechend behandelt. Zivilcourage kann also auch in ihrem Ausmaß zu viel sein.

Rechtfertigender Notstand in Abgrenzung zur Notwehr

Notwehr und Nothilfe sind nicht die einzigen Rechtfertigungsgründe, die das deutsche Strafrecht kennt. Täter werden beispielsweise auch dann nicht bestraft, wenn sie sich in einem rechtfertigenden Notstand befinden.

Dieser ist in § 34 StGB normiert. Im Gegensatz zur Notwehr und Nothilfe ist hier kein Angriff vonnöten, also keine durch menschliches Verhalten verursachte Gefahr. Stattdessen setzt eine Notstandslage eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ähnliches voraus, die auch durch nicht-menschliches Verhalten begründet ist. Geschützt sind, anders als bei Notwehr und Nothilfe, auch Rechtsgüter der Allgemeinheit.

Im Rahmen der Notstandshandlung ist eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Bei Notwehr und Nothilfe scheidet eine derartige Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter aus. Beim rechtfertigenden Notstand hingegen muss das zu schützende Rechtsgut das beeinträchtigte wesentlich überwiegen.

Beispiel: Ein Bergsteiger dringt bei einem schweren Schneesturm ohne die Genehmigung des Eigentümers in dessen Hütte ein, da er ansonsten erfroren wäre. Das Rechtsgut Leben ist in seiner Wertigkeit höher angesiedelt als das Eigentum.

Zivilcourage: Wann muss ich eingreifen?

Wer in der Bedrohungslage eines anderen eingreift und Zivilcourage zeigt, handelt entsprechend dem ethischen und moralischen Empfinden der meisten Personen in der Bevölkerung. Gerade bei aktuellen Schlagzeilen neigen viele zu vorschneller Empörung gegenüber Menschen, die beispielsweise bei Schlägereien tatenlos daneben standen.

Doch wie sieht es eigentlich rechtlich betrachtet aus, wenn jemand in einer Bedrohungssituation nicht eingreift? Macht sich ein stiller und untätiger Beobachter unter Umständen sogar wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn er in eine Schlägerei nicht interveniert?

Der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung ist zunächst gesetzlich in § 323c StGB normiert. Hier heißt es:

Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Unglücksfälle sind plötzlich eintretende Ereignisse, die eine unmittelbare Gefahr für eine Person oder eine Sache von bedeutsamem Wert darstellen. Beispiele hierfür sind neben Verkehrsunfällen eben auch vorsätzliche und fahrlässige Straftaten. Wer bei einer Schlägerei oder Vergewaltigung tatenlos dabei steht, ohne einzuschreiten, macht sich, je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, auch strafbar.

Damit ist allerdings nicht gesagt, dass ein Beobachter zur Nothilfe und somit zum eigenen körperlichen Einsatz stets gezwungen ist. Immerhin soll bzw. muss sich auch niemand selbst in Gefahr bringen.

In dem Fall würde Zivilcourage aber bereits bedeuten, Polizei und/oder Rettungskräfte zu informieren. Hier ist immer danach zu fragen, welche Mittel zur Verfügung standen und was im jeweiligen Einzelfall überhaupt zumutbar ist.

Münchener Urteile gegen Zivilcourage

Für Aufruhr sorgten in den letzten Jahren zwei Urteile der bayrischen Landeshauptstadt München, in denen es um das Thema Zivilcourage ging. In diesen beriefen sich potentielle Täter auf Notwehr und Nothilfe und wurden dennoch zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Das erste Urteil erging im Jahr 2008. Diesem lag der Fall zugrunde, dass ein Radfahrer am frühen Morgen in der Laimer Unterführung auf ein junges Mädchen und einen sehr aggressiv wirkenden Jugendlichen stieß. Die junge Frau fühlte sich offensichtlich durch ihren Begleiter bedroht und rief mehrfach, dieser solle von ihr ablassen. Daraufhin mischte sich der Radfahrer ein, in dem er dem diesem sagte, er solle die Frau in Ruhe lassen. Prompt wurde er selbst verfolgt, woraufhin er völlig verängstigt mit einem Taschenmesser zustach und den Jugendlichen dabei in der Achselhöhle traf.

Verurteilt wurde der Fahrradfahrer zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Eine Aussetzung zur Bewährung ist bei einem Strafmaß dieser Höhe nicht möglich. Den Rechtfertigungsgrund der Notwehr bzw. Nothilfe hielt der urteilende Richter für nicht einschlägig.

Auch in dem zweiten Urteil, welches im Jahr 2009 erging, wurde eine Situation scharf bewertet. Hierbei wurde ein 30-jähriger Student am Münchener U-Bahnhof Garching von einer Gruppe Albanern angegriffen. Nachdem ein Freund des Studenten niedergeschlagen wurde und sich die Angreifer an ihn wandten, stach er aus Furcht mit einem Messer zu, wobei der Stich einen der Angreifer im Hals traf.

Zwar ging der Richter, im Übrigen derselbe des zuvorgenannten Urteils, von dem Bestehen einer Notwehrlage aus, allerdings erachtete er die Reaktion des Studenten als überzogen und nicht gerechtfertigt. Der Fall eines intensiven Notwehrexzesses im Sinne von § 33 StGB wurde ebenfalls abgelehnt, obwohl der Angeklagte im Nachhinein von einer enormen Angst berichtete.

Mutmaßungen zufolge haben die besagten Urteile zu einer entsprechenden Zurückhaltung der bayrischen Bevölkerung in puncto Zivilcourage geführt. Dies zeigte sich insbesondere anhand einer weiteren Situation aus dem Jahr 2009, in dem eine Gruppe von rund 20 Personen tatenlos bei der Tötung eines 50-jährigen Mannes zugegen waren. Welche Beweggründe der Zurückhaltung der Anwesenden im Einzelnen zugrunde lagen, kann nicht eingeschätzt werden.

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