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Grundgesetzwidrigkeit bzw. Nichtigkeit des § 130 Abs. 3

Grundgesetzwidrigkeit bzw. Nichtigkeit des § 130 Abs. 3:
Verstoß gegen Sondergesetzverbot (Art 5 Abs. 2 GG)
und Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG)

Ausnahme vom Sondergesetzverbot für § 130 Abs. 3 hinsichtlich Art. 5 Abs. 1 GG ist im „Verbrechensbekämpfungsgesetz” vom 28.10.1994 nicht genannt.

Art. 5 Abs 2 GG enthält ein Verbot von Sondergesetzen bzw. Einzelfallgesetzen. Das Grund-recht auf Meinungsäußerungsfreiheit kann nur von „allgemeinen Gesetzen” eingeschränkt werden: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.”

Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG enthält ein Zitiergebot für grundrechteinschränkende Gesetze:
(Satz 1:) „Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. (Satz 2:) Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.”

Stefan Huster hat in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 8/1996, S. 487 ff.) dargelegt, daß § 130 Abs. 3 StGB mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1) unvereinbar ist: § 130 Abs. 3 stellt „ersichtlich geradezu den Musterfall einer Norm dar, die auf diese (vom Bundesverfassungsgericht näher bestimmten) Weise gegen eine bestimmte inhaltliche Meinung gerichtet ist“(S. 489). Weiter schreibt er: „Das Verbot der Leugnung einer historischen Tatsache in § 130 Abs. 3 StGB ist gewiß ein Sonderfall, sogar ein Fremdkörperin einem freiheitlichen Gemeinwesen.”

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, festgestellt, daß § 130 Abs. 4 StGB ein Sondergesetz ist (1. Leitsatz und Abs.-Nr. 53). Die Entscheidung enthält grundsätzliche Festlegungen, die sich auf die Anwendbarkeit des § 130 Abs. 3 auswirken.

Daß die in o.g. Entscheidung aufgestellten Grundsätze nicht nur für § 130 Abs. 4 Bedeutung haben, sondern u.a. auch für § 130 Abs. 3, ist bereits an der Erklärung des 1. Senats des BVerfG erkennbar, daß die Entscheidung „Klarheit über die Rechtslage für Meinungsäußerungen“ schaffen soll und „folglichallgemeine verfassungsrechtliche Bedeutung“ hat (Abs.-Nr. 44).

Daher habe der 1. Senat davon abgesehen, von der durch den Tod des Beschwerdeführers an sich gegebenen Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung Gebrauch zu machen (Die Entscheidung erging bezüglich § 130 Abs. 4 aufgrund einer Grundrechtsbeschwerde des vor Beschlußfassung verstorbenen Rechtsanwalts Jürgen Rieger gegen das Verbot eines Gedenkmarsches für Rudolf Heß in Wunsiedel).

Der 1. Senat des BVerfG hat in seiner o.g. Entscheidung betont, daß das Sonderrechtsverbot allgemein gelten muß und sich auf alle meinungsbeschränkenden Gesetze erstreckt (Abs.-Nr. 63).

Als Anzeichen für Sonderrecht führte er ausdrücklich die Anknüpfung eines meinungsbeschränkenden Gesetzes „an bestimmte historische Deutungen von Geschehnissen“ an (Abs.-Nr. 60). Dies trifft zweifellos auf § 130 Abs. 3 zu.

Der 1. Senat des BVerfG stellte fest, daß es sich um an sich mit dem Grundgesetz unvereinbare Sondergesetze handelt, sofern sich Einschränkungen der Meinungsfreiheit nicht allgemein auf Meinungen zu Schreckensherrschaften, sondern auf Meinungen zu geschichtlichen Gewalt- und Willkürregimen besonderer Art beziehen – ausdrücklich benannt: auf Meinungen zu der nationalsozialistischen Herrschaft.

Er erklärte § 130 Abs. 4 StGB aus diesem Grund zum Sondergesetz und sieht ihn trotzdem – als Ausnahme – nur aus dem Grund als mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar an, da § 130 Abs. 4 der Gutheißung der „historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“ Grenzen setze (Leitsatz Nr. 1) und „nicht schon eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit unter Strafe“ stellt (Abs.-Nr. 82).

Der 1. Senat des BVerfG hält § 130 Abs. 4, obwohl er ein Sondergesetz ist, aus dem Grund für mit dem Grundgesetz vereinbar, da er von der gesetzgeberischen Wertung ähnlich angelegt sei wie § 140 StGB, der die Belohnung und Billigung von bestimmten, tatsächlich begangenen und besonders schweren Straftaten unter Strafe stellt (Abs.-Nr. 82). Soweit nach § 130 Abs. 3 StGB nicht nur ein Billigen bzw. Gutheißen, sondern auch ein „Leugnen“ und Verharmlosen strafbar ist, ist er nach diesen vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Daß trotzdem weiterhin Strafurteile wegen Bestreitens oder Bezweifelns des „Holocaust” gefällt werden, ist wohl darauf zurückzuführen, daß das Bundesverfassungsgericht zu verstehen gab, die BRD dürfe Einzelfall- bzw. Sondergesetze wie in § 130 StGB ausnahmsweise erlassen (Bestrafung einer speziellen Tatsachenbehauptung oder Meinung mit inbegriffenem Verteidigungs- und Beweisverbot) wegen der „einzigartigen“ „geschichtsgeprägten Identität“ der BRD „gegenbildlich” zum Nationalsozialismus (BVerfGE vom 4.11.2009, a.a.O., Abs.-Nr. 65, 66), mit anderen Worten: weil sie die BRD ist (Verstoß gegen das Willkürverbot). Und „aufgrund der Einzigartigkeit der Verbrechen“ (BVerfGE a.a.O., Abs.-Nr. 68) bzw. des „Holocaust” (ein Zirkelschluß).

Jedenfalls stufte das Bundesverfassungsgericht in der o.g. Entscheidung § 130 Abs. 4 und (wie oben dargelegt) auch Abs. 3 StGB als Sondergesetz ein (BVerfGE vom 4.11.2009, a.a.O.).

Daß § 130 Abs. 3 als Sondergesetz eingestuft wird, wird von BVerfGE vom 22.06.2018 (1 BvR 673-18) bestätigt (Rn Nr. 22,23)

Ein Verstoß gegen das Zitiergebot hat die Nichtigkeit des Einschränkungsgesetzes zur Folge. Das Zit.i.rgebot soll verhindern, daß neue, dem bisherigen Recht fremde Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte geschaffen werden, ohne daß „der Gesetzgeber” sich darüber Rechenschaft ablegt und dies ausdrücklich zu erkennen gibt (Warn- und Besinnungsfunktion). Vom Zitiergebot ist zwar die Begrenzung derjenigen Grundrechte nicht betroffen, die von vorneherein mit Schranken versehen sind. Grundsätzlich nicht zitierpflichtig sind daher Einschränkungen der Meinungsfreiheit, weil das Grundrecht nach Art 5 Abs. 2 GG nur „im Rahmen der allgemeinen Gesetze garantiert ist”. Jedoch betrifft das Zitiergebot Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken (BVerfGE 28, 46). (Seifert/Hömig, Kommentar zumGrundgesetz der BRD, a.a.O., Artikel 19 Rn. 4).

Die in Art 5 Abs. 1 GG selbst angelegten Grenzen sind die „allgemeinen Gesetze”.

Das Zitiergebot betrifft mithin nichtallgemeine Gesetze bzw. Sondergesetze.

Da § 130 Abs 3 StGB kein allgemeines Gesetz ist, sondern eine ganz spezielle Meinung verbietet (vgl. oben Huster und die o.g. BVerfGE vom 4.11.2009), stellt er eine Einschränkung dar, die über die in Art. 5 GG angelegten Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit hinausgeht. § 130 Abs 3 geht als „Sondergesetz” bzw. „Einzelfallgesetz” über die übliche Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit hinaus und stellt eine dem Recht fremde Möglichkeit des Eingriffs in Grundrechte dar.

Das Zitiergebot gilt daher hinsichtlich des § 130 Abs. 3 StGB für Art. 5 Abs. 1 GG. Daß § 130 Abs. 3 eine Einschränkung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit bedeutet, hätte daher bei Beratung und Verabschiedung des § 130 Abs. 3 genannt sein müssen.

Im sog. „Verbrechensbekämpfungsgesetz” vom 28.10.1994 (BGBl. 1 S. 3186), das den § 130 Abs. 3 StGB einführte, ist eine Einschränkung von Art. 5 Abs. 1 GG nicht genannt, weder in Artikel 17 (Einschränkung von Grundrechten) noch sonstwo. Insbesondere steht dort nirgends, daß für § 130 Abs. 3 eine Ausnahme vom grundgesetzlichen Sondergesetzgebot gemacht werde.

§ 130 Abs. 4 und (wie oben dargelegt) auch Abs. 3 wurde vom Bundesverfassungsgericht im Nachhinein (15 Jahre nach Verabschiedung des Abs. 3) als „Sondergesetz” eingestuft. Statt ihn deswegen konsequenterweise als nichtig anzusehen, hat es ihn, wegen seiner Sondereigen-schaft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Dies ist eine nachträgliche Verschärfung, mit der das Bundesverfassungsgericht sich nicht nur grundgesetzwidrig eine Überkompetenz anmaßte (Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip, Art. 20 Abs. 2 Satz 2, wonach die „Gesetzgebung” dem Bundestag obliegt), sondern auch gegen das strafrechtlicheRückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG verstieß. Es liegt ein Übergriff des Bundesverfassungsgerichts in die Grundgesetzgebung und in den Kernbereich der Gesetzgebungsgewalt vor.

§ 130 Abs 3 StGB ist aus mehreren Gründen grundgesetzwidrig und nichtig.

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