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Die Aussageverweigerung

Lange Zeit galt die generelle Aussageverweigerung gegenüber den staatlichen Repressionsorganen als ein strömungsübergreifender Grundsatz innerhalb der Bewegung. Dieser Konsens war ein zentraler Bestandteil der politischen Praxis und diente dem Schutz der Einzelnen sowie der kollektiven Struktur.

Doch mit wachsender Sorge stellen wir fest, dass dieser bedeutende Leitsatz immer häufiger missachtet wird. Viele Aktivisten erliegen dem Druck, Aussagen gegenüber der Polizei oder in strafrechtlichen Verfahren zu machen, in der Hoffnung, dadurch individuelle Vorteile zu erlangen. Neben der Aussicht auf Strafmilderung sind es jedoch vor allem Unwissenheit und Unsicherheit, die dazu führen, dass Menschen ihr Recht auf Aussageverweigerung nicht wahrnehmen. Häufig fehlen ihnen grundlegende Informationen darüber, dass sie jederzeit das Recht haben, die Aussage zu verweigern, wie sie dieses Recht ausüben können und welche möglichen Konsequenzen ihre Entscheidung hat.

Der Leitfaden

Eine Festnahme, ein Verhör oder eine Hausdurchsuchung kommen fast immer überraschend. Das ist Teil der Strategie der Polizei, um dich unvorbereitet zu treffen. In dieser Situation hat die Polizei mehrere Vorteile gegenüber dir:

  • Für dich ist das eine Ausnahmesituation, für sie Routine.
  • Du bist isoliert von vertrauten Personen.
  • Die Beamten können jederzeit neue Anweisungen erhalten, falls sich die Situation ändert.
  • Du kennst deine Rechte oft nicht vollständig, was sie ausnutzen können.
  • Du bist angespannt und nervös, während sie ruhig bleiben und darauf geschult sind, deine Nervosität zu ihrem Vorteil zu nutzen.
  • Du weißt nicht, was als Nächstes passiert oder wie lange das Verhör dauern wird, während sie genau wissen, was sie erreichen wollen.
  • Du fühlst dich ausgeliefert und bist verunsichert, während sie genau darauf setzen, dass deine Angst dich schwächt.

In dieser Stresssituation geben viele Menschen ihre gesetzlich garantierten Rechte, insbesondere das Recht auf Aussageverweigerung, leichtfertig auf. Der Wunsch, "nur raus hier" und es hinter sich zu bringen, führt oft dazu, dass Menschen Aussagen machen, die sie später bereuen, manchmal mit gravierenden Folgen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass man in dieser Lage nicht Herr der Situation ist. Du kannst unmöglich sicher wissen, ob eine Aussage deine Lage verbessern wird. In diesem Moment ist jede Aussage ein reines Glücksspiel – und das Risiko ist hoch. Bedenke, dass du auch in einigen Tagen noch deine Aussage machen kannst, wenn es nötig ist.

Ausserdem ist es entscheidend, die Mechanismen zu kennen, die in einem Verhör angewendet werden, um Menschen zum Reden zu bringen. Eine Vernehmung ist kein einfaches Frage-und-Antwort-Spiel, sondern eine Situation, die stark von unbewussten Reaktionen geprägt ist. Geübte Ermittler analysieren deine Reaktionen und versuchen gezielt, diese zu manipulieren, um dich zu einer Aussage zu bewegen. Viele verstehen später selbst nicht, wie es dazu kommen konnte.

Warum ist es so wichtig, nichts zu sagen, bevor man nicht mit einem Anwalt gesprochen hat?

Das Gesetz gibt dir das Recht, dich nicht selbst zu belasten. Dies gilt sowohl für Beschuldigte als auch für Zeugen unter bestimmten Bedingungen. Nach einer Festnahme gibt es keine Situation, in der du sicher beurteilen kannst, ob eine Aussage wirklich zu deinem Vorteil ist. Du weißt nicht, wo im Verfahren du stehst und was auf dem Spiel steht. Daher ist es essenziell, einen Anwalt zu Rate zu ziehen. Wenn dein Anwalt nicht sofort erreichbar ist, warte, bis du ihn sprechen kannst. Lass dich nicht von der Ungeduld oder dem Druck der Beamten beeinflussen – wenn sie es eilig haben, dann hast du alle Zeit der Welt. Und vertraue niemals darauf, dass der Beamte in deinem Interesse handelt.

Ein Polizist hat nur ein Ziel: Ergebnisse für seinen Bericht zu liefern. Was mit dir passiert, ist ihm letztlich egal. Deine Aussage könnte dazu führen, dass du im Gefängnis landest, während der Beamte dafür eine Beförderung erhält.

Deine Rechte nach einer Festnahme sind

  • Den Grund der Festnahme zu erfahren.
  • Die Aussage zu verweigern.
  • Nichts zu unterschreiben.
  • Gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung schriftlich Widerspruch einzulegen.
  • Einen Arzt zu verlangen, falls du verletzt bist, und diese Verletzungen attestieren zu lassen.
  • Ein Protokoll über beschlagnahmte Gegenstände zu erhalten.
  • Einen Anwalt anzurufen und nahe Angehörige zu benachrichtigen (ohne unnötig am Telefon zu reden).

Die Bedeutung der Aussageverweigerung in einem Verfahren

Dein Schweigen hat eine wichtige Bedeutung im rechtlichen Prozess. Nur wenn du vollständig schweigst, darf dies nicht zu deinem Nachteil ausgelegt werden. Sobald du aber auch nur eine Kleinigkeit sagst, kann dies als Beweismittel verwendet werden, und das Gericht kann daraus Schlüsse ziehen.

Beispiel: Wenn du gefragt wirst, wo du dich im August 1998 aufgehalten hast und du nichts sagst, kann dies nicht gegen dich verwendet werden. Wenn du aber antwortest, dass du an einem bestimmten Tag demonstriert hast, kann das bereits ausreichen, um deinen Aufenthalt und deine Aktivitäten zu belegen.

Solange du keinen Anwalt hast, ist konsequentes Schweigen deine beste Strategie!

Eine einmal getätigte Aussage lässt sich nicht zurücknehmen. Du kannst nur eine weitere, abweichende Aussage machen, was dem Gericht aber die Freiheit lässt, selbst zu entscheiden, welcher Version es glaubt. Meist wird das Gericht den Beamten folgen, die die ursprüngliche Aussage aufgenommen haben, und diese werden alles tun, um die Aussage so darzustellen, dass sie ihrem Ziel dient.

Warum ist es so wichtig, mit einem Anwalt zu sprechen?

Ein Anwalt ist dein Lotse im rechtlichen Verfahren. Ohne ihn bist du in einer unbekannten Situation auf dich allein gestellt und kannst die Folgen deiner Aussagen nicht einschätzen. Selbst wenn die Beamten versuchen, dich zu lenken, ist ihr Interesse nicht dein Wohl, sondern ein schneller Erfolg in ihrem Sinne. Daher: Mach dir die Geduld und Eile des Beamten nicht zu eigen. Wenn er drängt, nimm dir die Zeit, die du brauchst, und sprich mit deinem Anwalt, bevor du irgendetwas sagst.

Im Unterschied zu einem Zeugen hat ein Beschuldigter das Recht, sowohl bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft als auch vor Gericht die Aussage generell zu verweigern. Er ist nur verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen.

Polizei

Für Beschuldigte ist der größte Druck oft die Verhörsituation selbst, verbunden mit der Bedrohung durch mögliche Haftstrafen. Solche Situationen sind schwer vorhersehbar, und die Vorstellung, man könne die Kontrolle über das Gespräch behalten, ist meist illusorisch. Deshalb ist es entscheidend, die eigenen Rechte zu kennen und sich bewusst zu sein, welche Methoden die Ermittlungsbehörden anwenden können, um Überraschungsmomente zu minimieren.

Während eines polizeilichen Verhörs werden einem Beschuldigten oft systematisch Hindernisse in den Weg gelegt. Es wird schwer gemacht, Angehörige oder einen Anwalt zu kontaktieren oder medizinische Versorgung zu erhalten. Polizisten konzentrieren sich selten auf die Durchsetzung dieser Rechte. Daher liegt es in der Verantwortung des Beschuldigten selbst, seine Rechte wahrzunehmen und aktiv zu bleiben. Um diesen Druck zu reduzieren, ist es wichtig, gut informiert zu sein, wann man schweigen sollte, um sich nicht selbst zu belasten. Die Aussageverweigerung darf dabei nicht als Nachteil gegen den Beschuldigten gewertet werden.

Selbst eine scheinbar unbedeutende Aussage kann von Staatsanwälten oder Richtern genutzt werden, um aus der insgesamt gewählten Aussageverweigerung negative Schlüsse zu ziehen. Auch einzelne Teilaussagen, bei denen der Beschuldigte auf bestimmte Fragen antwortet und bei anderen schweigt, können ein vollständiges Bild vermitteln, das zur Last gelegt wird. Jede einmal gemachte Aussage schafft Zusammenhänge, die von der Staatsanwaltschaft interpretiert und verwendet werden können.

Verpflichtende Angaben nach einer Festnahme und vor Gericht

Beschuldigte sind verpflichtet, nach einer Festnahme oder vor Gericht Angaben zu folgenden Punkten zu machen:

  • Name
  • Adresse
  • Geburtsdatum
  • Geburtsort
  • Allgemeine Berufsangabe (z. B. Schüler, Angestellter, Selbstständiger, ohne Nennung des Arbeitgebers)

Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, müssen deren Adresse nicht angeben. Wer diese Pflichtangaben vor Gericht verweigert, riskiert in der Regel ein Ordnungsgeld oder andere Sanktionen. Bei der Polizei kann eine Verweigerung der Personalien zur Anzeige führen. In manchen Fällen kann es hilfreich sein, bei der Feststellung der Personalien (wenn keine Festnahme vorliegt) auf den Einsatzleiter zu bestehen, um eventuell eine weitergehende Identitätsprüfung zu verhindern.

Haftrichter

Vor dem Haftrichter könnte eine Aussage taktisch sinnvoll erscheinen. Allerdings sollte man wissen, dass eine Aussage zur Sache die Untersuchungshaft nicht verhindert. Der Haftbefehl wird wegen dringenden Tatverdachts erlassen, unabhängig davon, was der Beschuldigte dazu sagt. Es gibt vier Haftgründe:

  • Fluchtgefahr
  • Verdunkelungsgefahr
  • Wiederholungsgefahr
  • Besonders schwere Tatvorwürfe (z. B. Mord, Totschlag oder eine politische Tatmotivation)

Bei schweren Vorwürfen wird grundsätzlich ein Haftbefehl erlassen. Es ist sinnvoll, nur zur Fluchtgefahr Stellung zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass man einen festen Wohnsitz und soziale Bindungen hat. Diskutiert man hingegen Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr, führt dies unweigerlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Tatvorwurf.

Besonders wichtig ist es, sich vor einem Verhör oder einer richterlichen Anhörung von einem Anwalt beraten zu lassen, um das Risiko von Aussagen zu minimieren, die zu einer weiteren Belastung führen könnten.

Im August 2017 wurden mehrere Vorschriften der Strafprozessordnung geändert. Häufig ist zu lesen, Zeugen müssten nun bei entsprechender Vorladung stets zur Polizei gehen und dort aussagen. Das Wichtigste schon vorab: In der Regel muss auch heute niemand einer Vorladung durch die Polizei Folge leisten - weder als Beschuldigter noch als Zeuge.

Polizei:

Bisherige Rechtslage

Bislang galt: Wer eine Vorladung von der Polizei erhalten hat, konnte sie ignorieren. Weder der Beschuldigte noch der Zeuge musste zur Vernehmung erscheinen. Anders verhielt es sich, wenn es sich um eine Ladung zur richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung handelte. Zu einer solchen Vernehmung musste man sowohl als Beschuldigter als auch als Zeuge hingehen.

Neue Rechtslage

Die Neufassung des § 163 Abs. 3 Satz 1 der Strafprozessordnung lautet: Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Wichtig ist der letzte Halbsatz: Es muss einen entsprechenden Auftrag der Staatsanwaltschaft geben. Die Regelung soll die Staatsanwaltschaft im Vergleich zur bisherigen Rechtslage entlasten: Anstelle einer Ladung zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung - bei der dann ein Staatsanwalt die Vernehmung selbst durchführen musste - kann nun die Polizei beauftragt werden, ebendiese Vernehmung allein durchzuführen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Vorladung eines Zeugen durch die Polizei ohne Einbindung der Staatsanwaltschaft. Hier hat sich durch die neue Rechtslage nichts geändert: Gibt es keinen Auftrag der Staatsanwaltschaft, so gilt auch keine Pflicht zum Erscheinen für Zeugen. In der Praxis ist dies der absolute Regelfall, denn die meisten Ermittlungsverfahren werden bis zum Abschlussbericht ausschließlich durch die Polizei bearbeitet.

Generelle Vernehmungsaufträge sind rechtswidrig

Besonders zu beachten ist, dass der Staatsanwaltschaft auch nach neuem Recht die "Gesamtverantwortung für eine ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens" obliegt - so steht es in der Gesetzesbegründung. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb einzelfallbezogen über die Pflicht zum Erscheinen eines Zeugen bei der polizeilichen Vernehmung zu entscheiden.

Hier hat die Staatsanwaltschaft etwa zu prüfen, ob der Zeuge - wie so häufig - evtl. schon nach Aktenlage faktisch Beschuldigter ist oder im Laufe der Vernehmung zum Beschuldigten werden könnte. In solchen Fällen ist ein Vernehmungsauftrag rechtswidrig. Ebenso rechtswidrig sind daher generelle Ermächtigungen für die Polizei etwa des Inhalts, in jedem Ermittlungsverfahren alle in Betracht kommenden Zeugen "im Auftrag der Staatsanwaltschaft" zu vernehmen. Jeder Ladung durch die Polizei muss vielmehr ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegen - dies steht auch im Abschlussbericht der Expertenkommission zur besagten Änderung der Strafprozessordnung.

Was tun, wenn die Polizei das neue Recht falsch anwendet?

Nicht auszuschließen ist, dass Polizeibehörden Zeugen - ungeachtet des Rechtslage - kraft generellen Auftrages der Staatsanwaltschaft vorladen und zur Vernehmung abholen, wenn der Vorladung nicht gefolgt wurde. Wer in diese Situation gerät, der sollte Folgendes wissen: Auch wenn die Vernehmung rechtswidrig erzwungen wird, ist nicht gewiss, dass die Angaben später unverwertbar sind. Das Recht der Beweisverwertungsverbote hierzulande ist komplex und oftmals nicht zum Vorteil des Betroffenen.

Wer nichts falsch machen will, sollte deshalb auch in einer durch Vorführung erzwungenen Vernehmung schweigen und stattdessen sofort die gerichtliche Entscheidung gemäß § 163 Abs. 5 der Strafprozessordnung beantragen. Hintergrund: Gemäß § 163 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 der Strafprozessordnung entscheidet die Staatsanwaltschaft, wer Zeuge ist und wer - auch als Zeuge - prozessuale Schweigerechte hat. Auch über Maßregeln bei Weigerung des Zeugen entscheidet die Staatsanwaltschaft. Fehlt es insgesamt an einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft - also am einzelfallbezogenen Auftrag zur Vernehmung - wird spätestens das Gericht dies erkennen und die Maßnahme für rechtswidrig erklären.

Wird zwischenzeitlich der Auftrag der Staatsanwaltschaft nachträglich eingeholt, fehlt es - wenn der Betroffene bereits vorgeführt wurde oder sich die Polizei zur Durchführung der Vernehmung bereits in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Betroffenen aufhält - an einer ordnungsgemäßen Ladung. Hier sollte der Betroffene darauf bestehen, zu einem neuen Termin geladen zu werden. Die Zeit bis zu diesem Termin sollte er ggf. nutzen, um anwaltlichen Rat einzuholen. In vielen Fällen ist es sinnvoll, einen Strafverteidiger als Zeugenbeistand zu wählen und mit diesem zur Vernehmung zu gehen.

Staatsanwalt:

Zeugen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und die Angaben zur Person machen. Erscheinen Zeugen nicht, kann eine Vorführung erlassen werden.

Sodann hat man das Recht, folgendes zu erfahren: Um welches Verfahren es sich handelt (hier ist auf eine genaue Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe zu bestehen). Der/die Beschuldigten müssen genannt werden. Denn man muss ja die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob man ein Aussageverweigerungsrecht hat.

Es gibt gute Gründe, warum Zeugen vor dem Staatsanwalt nicht aussagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ermessen, wozu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht sicher, in welche Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt darf Zeugen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten - und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage die Zeugen selbst belasten könnte! Ein Überblick über die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte für die Zeugen unmöglich sein. Jede Aussage beim Staatsanwalt liefert ein Steinchen in dem Mosaik, dass er sich zusammenbastelt, jede Aussage kann ihm dabei weitere Anhaltspunkte liefern. Das Aussageverweigerungsrecht für Zeugen wird durch die § 52 bis 56 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt.

      • § 52 StPO sieht ein Aussageverweigerungsrecht für Verwandte des Beschuldigten vor, dass können sein, Eltern, Geschwister, Kinder, aber auch Verlobte ...
Verlobungen sind bekanntlich ebenso schnell zu lösen, wie sie geschlossen werden, und können im Einzelfall, wenn es möglich ist, eine sehr elegante Lösung sein.
      • § 55 StPO sieht ein Aussageverweigerungsrecht vor für Leute, die in derselben Sache angeklagt sind und für Leute, die sich durch die Aussage selbst belasten könnten. Es ist sowohl taktisch wie politisch falsch, diese Form der Aussageverweigerung zu benutzen. Die Aussageverweigerung nach § 55 besteht nur für spezielle Fragen. Die Inanspruchnahme dieses Rechtes muss jeweils ausdrücklich, unter Berufung auf die Gefahr der Selbstbelastung verlangt werden. Die Gefahren dabei liegen auf der Hand: Zum einen wird die Staatsanwaltschaft verlangen, dass begründet werden muss, wieso man sich selbst belasten könnte ... dabei entsteht zwangsläufig die Situation, dass man über die Anklagepunkte reden muss oder über Leute, mit denen man irgendwie zu tun hat. Überlegungen welche Aussagen dem Staatsschutz nützlich sein können, und welche nicht, führen zu einer Situation, die für die Betroffenen nicht mehr überschaubar ist. Sie können immer wieder vorgeladen werden - die Bedrohung, vom Zeugen zum Beschuldigten zu werden, immer im Hinterkopf, was immer wieder eine Entscheidung fordert, wie sie schon bei der ersten Vorladung zu treffen war. Taktisch ist die Berufung auf den § 55 unklug, da man durch diese Begründung quasi der Justiz die Möglichkeit in die Hand gibt, einen zum Beschuldigten zu machen, also ebenfalls ein Ermittlungsverfahren einzuleiten denn es ist ja davon auszugehen, dass ein Straftatbestand/Ordnungswidrigkeit vorliegt. Wird man als Zeuge vorgeladen und es ist zu erwarten dass er selbst noch ein Verfahren kriegt oder er weiß es schon, hat man das Recht, auch die Aussage als Zeuge zu verweigern. Dies gilt für das gesamte Verhör.

Erwähnt sei noch, dass Ärzte, Rechtsanwälte, Pfaffen und Journalisten ebenfalls ein begrenztes Aussageverweigerungsrecht haben, welches sich natürlich nur auf ihren Berufsbereich bezieht (§ 53 und 54 StPO). So müssen z.B. Journalisten die Namen von Informanten und Interviewpartnern nicht preisgeben.

Was geschieht mit Personen die die Aussage verweigern wollen, obwohl sie keinen der genannten Paragraphen können bzw. wollen? Oder mit Zeugen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht folgen wollen?

Dafür werden erst mal die entstandenen Kosten aufgedrückt. Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen. Wenn dieses nicht gezahlt wird, gibt es Ordnungshaft, maximal 42 Tage und nur durch richterlichen Beschluss. Es kann die zwangsweise Vorführung vor einem Vernehmungsrichter (Ermittlungsrichter) angeordnet werden. Die Ordnungsmittel können bei erneutem Ausbleiben wiederholt werden.

Zeugen, die hingehen, aber nichts sagen:

Zunächst läuft alles so wie oben beschrieben ab. Wichtiger Unterschied aber ist, dass damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann maximal sechs Monate verhängt werden.

Klar ist demnach: So schnell ist man als aussageverweigernder Zeuge nicht im Knast!

Das geht erst mal alles seinen langen rechtlichen Gang. Zuallererst müssen zunächst einmal die Ordnungsmittel angewandt werden. Staatsanwälte, die behaupten, der Zeuge könne jetzt gleich in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewusst Ordnungs- mit Erzwingungsmitteln um den Zeugen zu verunsichern.

Aussageverweigerung als Zeuge beim Richter:

Alles wie bei dem Punkt Staatsanwaltschaft. Hinzu kommt, dass die Eidesverweigerung ebenso behandelt wird wie eine Aussageverweigerung (siehe auch Abschnitt Falschaussagen). Zeugen können zu allen Vernehmungen Anwälte mitnehmen. Sie können eine wichtige, auch psychologische Funktion haben, doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes, d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen, sie dürfen nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden eingreifen. Wenn z.B. eine Frage juristisch nicht so gestellt werden darf, wie sie gestellt wurde, oder wenn der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Aber man hat das Recht, sich mit dem Anwalt über die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch kann man sich erst mal Luft verschaffen und sich dem psychischen Druck entziehen. Welche sich stark genug fühlen können hiermit das Verhör etwas strecken...

Nach erfolgter Festnahme - im Gefangenentransportwagen, in der Polizeizelle bei der Kripo - setzen irgendwann die Versuche ein, Aussagen zur Sache aus dir herauszuquetschen.

Die Informationen, die Beamte benötigen, haben zweierlei Charakter:

  • Sie sollen in einem Strafverfahren verwendet werden, müssen also gerichtsverwertbar sein, d.h. sie dürfen nicht unter Umgehung von Gesetzen, z.B. dem § 136 StPO, zustande kommen.
  • Sie sollen der weiteren Ermittlungsarbeit dienen. Hier darf die Ermittlungsbehörde jeden Hinweis verwerten. Hier wird zum Beispiel das Telefon eines Arztes abgehört, nur darf ein sich daraus ergebener Hinweis nicht im Verfahren verwertet werden. Wird aber aufgrund dieser widerrechtlich erlangten Informationen eine Hausdurchsuchung durchgeführt, so ist das hierdurch sichergestellte Material verwertbar.

Willst du also deine Rechte voll wahren, musst du sorgfältig darauf achten, dass Informationen, die du im Kopf hast, auf keinem Wege denselben verlassen. Das Gesetz geht von der Fiktion aus, der Mensch habe einen freien Willen, den er nach Belieben betätigen könne, auch der Entschluss gemäß § 136 auszusagen, sei frei, wenn er nicht unter den besonderen Umständen des § 136 StPO zustande gekommen ist.

Die Beamten werden dir also zunächst die gesetzlich zulässige "Entscheidungshilfe" geben wollen. Dazu werden sie aus ihrer Maske als Kriminalbeamte heraus schlüpfen und versuchen, dir gegenüber die Rolle "Deines Anwaltes" zu spielen. Anstatt dir sofort Gelegenheit zu geben, wirklich deinen Anwalt zu befragen, haben sie ein Interesse daran, diesen zunächst fern von dir zu halten.

Sie werden alle Register ziehen, um deinen freien Willen in ihre Richtung zu lenken.

Die Taktik des "Es ist das beste für Dich"

Sie werden versuchen, dir weiszumachen, das Beste für dich sei, auszusagen. Das geschieht, indem man dir vorhält, welche Strafen einen erwarten. Sie werden dir weiszumachen versuchen, deine Position sei ohnehin aussichtslos. Der Geständige aber erhalte Straferlass und komme möglicherweise nicht in die Untersuchungshaft, weil dann keine Verdunklungsgefahr bestehe.

Wenn sie Recht hätten, bräuchten sie die Zuziehung eines Anwaltes nicht zu fürchten. Es muss dich misstrauisch machen, dass sie dir raten wollen, es aber nicht zulassen, dass dies eine Person deines Vertrauens tut.

Nochmal:

Die Vernehmung ist nicht nur ein Spiel von Fragen und Antworten, sondern eine Situation, zu der nicht nur der Beamte und Befragte gehört, sondern ebenso deine Angst, seine Routine, die Wahl des Zimmers, die Beamten, die scheinbar nicht beteiligt sind, Hektik, Ungeduld und gespielte Szenen.

Der Beamte wird zunächst versuchen, mit dir ins Gespräch zu kommen.

Man wird dir "Ermittlungsergebnisse" vorlesen, die dir zeigen sollen, wie weit man mit den Ermittlungen ist. Du kannst aber gar nicht beurteilen, ob dies tatsächlich Ergebnisse oder nur Vermutungen sind. Es ist vorgekommen, dass dem Beschuldigten Papiere als "Geständnisse" vermeintlicher Mitbeschuldigter vorgelegt wurden, an denen kein Buchstabe echt war. Abgesehen davon, ist auch ein wirkliches Geständnis noch lange kein Grund, auf sein Schweigerecht zu verzichten, denn nur ein Anwalt kann beurteilen, ob dieses vermeintliche Geständnis echt ist. Weiter wird man versuchen, dich mit Namen, Adressen, Telefonnummern und Tatsachen aus deinem Leben, von denen du meinst, sie seien unbekannt, zu überrumpeln.

Durchschaue diese Manöver. Wenn sie alles wissen, wozu dann noch eine Aussage. Wenn du bereits überführt wärest, wie wollen sie dir dann eine milde Strafe versprechen? Darüber entscheidet ohnehin das Gericht, das dir gewiss nicht dankbar ist. Wenn sie in der Rolle deines Anwaltes keinen Erfolg haben oder wenn sie merken, dass du dir von ihnen nichts einreden lässt, werden sie versuchen, dich psychisch zu bearbeiten.

Die Taktik, Kameraden gegeneinander auszuspielen

Fall nicht darauf rein, wenn man dich zusammen mit anderen Gefangenen oder sogar mit Kameraden transportiert, warten lässt oder gemeinsam vernehmen will. Das ist nur ein weiterer Versuch, Aussagen von dir zu bekommen, auf die die Gegenseite schon lange wartet. In dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten:

    1. Du kennst den anderen (natürlich nicht richtig, sondern einigermaßen gut). Dann vermeide jede Geste des Wiedererkennens. Oft ist bereits so etwas Gegenstand von Ermittlungen. Fallt euch nicht um den Hals. Fragt nicht nach dem Tun der letzten Zeit. Sprecht nicht von früher. Sprecht auch nicht, wenn ihr alleine seid über Dinge, die die Polizeibeamten mithören könnten. Wenn er Durchblick hat, begreift er es. Wenn nicht, ist es um so gefährlicher.
 

Auch hier gilt es, dass es besser ist, jemanden vor den Kopf zu stoßen und es später mal zu erklären, als sich und andere um seine Rechte und in Gefahr zu bringen.

  1. Du kennst den Anderen nicht. Dann sprich nicht über dich, sondern nur über ihn. Gib keine Kommentare. Sprich über das Wetter, den Knast, Essen und Sport. Auf keinen Fall über deinen Fall. Vermeide auch hier Imponiergehabe. Hab den Mut, für ein Würstchen gehalten zu werden. Wenn du wieder draußen bist, werden sie wissen, dass du keines warst. Denk daran, dass sie auch Pannen spielen können. Es ist durchaus möglich, dass sie dich "versehentlich" mit jemanden zusammentun, von dem sie dich vorher streng isoliert haben. Deine Freude musst du dann zügeln. Verhalte dich so, dass sie aus deinem Verhalten keinerlei Informationen ziehen können. Was für Begegnungen mit Personen gilt, trifft auch auf Orte oder Sachen zu. Nicht selten wird ein Betroffener an Orte gefahren, von denen angenommen wird, dass er sie kennt. Die Polizeibeamten wollen an der Reaktion prüfen, ob sie mit bestimmten Vermutungen auf dem richtigen Weg sind. Richte dein Verhalten danach ein. Werde nicht plötzlich in einer bekannten Gegend munter und recke den Hals, wenn du vorher geschlafen hast. Gib keine Hinweise auf Ort - oder Wegkenntnisse.

Wenn man dir Sachen, wie Waffen, Kleidung, Schlüssel, Autos oder sonst etwas zeigt, zeige für nichts davon Interesse. Nimm auch nichts davon in die Hand. Man kann aus der Art, wie jemand etwas anfasst, sehr gut sehen, ob er gewohnt ist, damit umzugehen.

Die Taktik des "Sie haben gewonnen"

Eine weitere Gefahrenquelle ist die Euphorie, die sich einstellt, wenn man meint: Ich habe es geschafft.

Fast jeder weiss, wie man sich fühlt, wenn man aus einer Drucksituation befreit wird. Man ist gesprächig, fröhlich und redet wie aufgedreht, z.B. wenn man eine Klassenarbeit, eine Klausur oder eine Prüfung erfolgreich hinter sich hat. Man fühlt sich unbeschwert, wenn man die Last los ist. In dieser Stimmung hat man wenig Lust, noch weiter an die Strapazen zu denken. Man vergisst schnell die Mühsal und damit leider auch jede Vorsicht.

Nach einer langwierigen Druckperiode in einem Vernehmungszimmer, nach allen möglichen Beschimpfungen, Anfeindungen und all den Strapazen wird plötzlich gesagt: Schluss, es hat keinen Zweck, er will nicht, gut. "Sie haben gewonnen.", sagt ein Beamter zu dir. Du bist froh, stolz und weißt, dass du gut warst. Warst du auch.

Aber Schluss ist eben nicht dann, wenn sie es sagen. Jetzt beginnt ein neuer Rollenwechsel. Du siehst die Beamten, mit denen du zu tun hattest, erschöpft. Sie waren erfolglos. Sie übergeben dich jetzt einen anderen, den du noch nicht kennst. Der hat nur den Auftrag, mit dir etwas zu essen, oder dich ins Gefängnis zurückzubringen. Er scheint völlig unverdächtig. Er fragt dich, ob du sie fertiggemacht hast. Er spielt Schadenfreude. Du freust dich, dass du jemanden hast, der deine Freude teilt - aber auch er wartet nur auf deine Worte.

Psychischer Druck und Entspannung

Bereits im Transportwagen in der Polizeizelle oder bei der Kripo, wenn es dir bereits besonders dreckig geht, wird ein Beamter in der Rolle des "Freund und Helfer" auf dich zukommen. Das kann ein "Höherer" sein, der die Polizisten, die dich beschimpfen, zur "Ordnung" ruft. In deiner miesen Situation neigst du dazu, dich an diesen Strohhalm zu klammern und zu vergessen, dass er derjenige ist, der jetzt den Auftrag hat mit dir in ein vertrauensvolles Gespräch zu kommen. Es passiert nicht selten, dass gerade dieser Beamte sich später vor Gericht rühmt, er habe es eben mit seiner verständnisvollen Art geschafft, das Vertrauen des Beschuldigten zu erlangen, der ihm schließlich das Herz ausschüttete. Die Taktik besteht darin, dich zunächst in eine Situation zu bringen, in der es dir schlecht geht, damit dann einer als dein "Freund und Retter" auftreten kann. Oft werden zu diesem Zweck auch Vernehmungen mit verteilten Rollen durchgeführt:

  • Einer ist scheinbar der Sachliche, der die Vernehmung offiziell vornehmen soll.
  • Zwei weitere Beamte sind im Raum entweder als Zuhörer oder scheinbar mit etwas Anderem beschäftigt.

Du verweigerst die Aussage. Dein sachliches Gegenüber versucht dir in Güte zuzureden. Du schweigst. Er brüllt los: "Mit euch müsste man kurzen Prozess machen..." Dabei kommt er dir so nahe, dass seine Nase dich fast berührt. Du riechst seinen Atem und bekommst seine Spucke ins Gesicht. Er brüllt weiter, bis nun dem Dritten die Sache "zuviel" wird. Er schickt den Schreier raus und befreit dich von ihm. Er wird dir sagen, dass sie den auch nicht leiden können, dass er bald versetzt wird. Dann bieten sie dir eine Tasse Kaffee an. Du empfindest Dankbarkeit. Du solltest Dankbarkeit empfinden.

Die Beamten wissen, dass wir in bestimmten Situationen nach Mustern und Mechanismen zu reagieren pflegen. Wir sind einfach darauf gestimmt, jemandem, der uns hilft, dankbar zu sein oder dem, der uns Verständnis entgegenbringt, freundlich zu begegnen. Das muss im normalen täglichen Umgang auch nicht falsch sein. Aber diese eingeschliffenen Mechanismen des täglichen Lebens sind uns so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie auch in Situationen aktiv sind, wo sie überhaupt nicht angebracht sind. Das Verhältnis zwischen Beamten und Beschuldigten ist in keiner Situation geeignet, Freundlichkeit oder Dankbarkeit aufkommen zu lassen. Auch wenn es dir schwer fällt, mit dem Beamten, dem du "Dank schuldest", nicht zu sprechen, in ihm immer noch den Systemschergen zu sehen. Vergiss nicht, dass es dein Recht ist, zu schweigen. Wenn der Beamte erst seine Macht darauf verwendet, dich unter Druck zu setzen und dann den Druck lockert, ist es absurd, hierfür auch noch dankbar zu sein. Selbst wenn er den Kaffee aus eigener Tasche bezahlt, ist das eine Investition, die sich für ihn spätestens bei der nächsten Beförderung auszahlt.

Diese "Retter" sind die gefährlichsten Personen in diesem abgekarteten Spiel. Sie wollen deinen Kopf, deine Aussage und deinen Entschluss zum Geständnis. Du hast zu kämpfen, um ihnen zu widerstehen. Und wenn du meinst, deine Dankbarkeit wirklich nicht verkneifen zu können, kannst du dem Beamten später, wenn du aus der Sache raus bist, immer noch eine Büchse Bier als Dank schicken. Aber keine Aussage! Wenn der Beamte seine "menschliche" Seite zeigt, verweigere nicht nur jede Aussage, sondern lass dich auf kein Gespräch von "Mensch zu Mensch" ein. Er wird dir erzählen, dass er auch Kinder hat, die womöglich "rechts" eingestellt sind. Er findet vieles ja auch richtig und versteht auch die Jugend; er würde ja auch mitmachen.

Er wird versuchen, dich in eine Diskussion zu verwickeln, innerhalb der er dich langsam auf eine Bahn bringen kann, die dann zu einer Aussage Führt. Außerdem verstärkt sich deine emotionale Beziehung zu ihm. Du findest ihn freundlich und fühlst dich verstanden. Das hat zur Folge, dass du bewusst oder unbewusst dich selbst veranlasst fühlst, freundlich zu ihm zu sein und ihn zu verstehen. Du beginnst jetzt Angst zu haben, ihn durch weiteres Verweigern zu "enttäuschen".

Viele Informationen hast du nun schon Gelesen. Im folgenden werden wir vier Einzelfragen besprechen.

Erkennungsdienstliche Maßnahmen

Erkennungsdienstliche Maßnahmen (Fingerabdrücke, Lichtbilder, Speichelprobe und ähnliches z.B. “Ganzkörpernacktaufnahme”) dürfen nach §81b StPO nur gegen Beschuldigte, nicht gegen Zeugen getroffen werden.

Sie müssen für die Ermittlungen notwendig und zu den vermuteten Straftaten verhältnismäßig sein.

  • Verlange, sofort deinen Anwalt telefonisch sprechen zu können.
  • Lege gegen die erkennungsdienstliche Behandlung sofort Widerspruch ein und beantrage die sofortige Aussetzung des Vollzugs.

Verlange (notfalls gerichtlich) die unverzügliche Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen, wenn sie für die Ermittlungen nicht notwendig und zu den vermuteten Straftaten unverhältnismäßig sind. Dies kann gleichzeitig mit der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den/die handelnden Beamten geschehen (zu richten an die vorgesetzte Behörde, z.B. das Polizeipräsidium).

Knast/Beugehaft

Die Diskussion um Aussageverweigerung fordert eine ständige Thematisierung von Knast/Beugehaft, keinesfalls darf dieser Punkt ausgeklammert und hier eine Trennung gezogen werden. Angesichts dieses Repressionsmittels wächst bei vielen die Aussagebereitschaft. Die fehlende Thematisierung weist auch auf den Punkt Aussageverweigerung und Organisierung hin, eine Einschätzung der eigenen Struktur hat meist nicht stattgefunden, drum wird auch die Bedrohung mit Knast individualisiert:

Lieber ein paar Jahre in den sicheren Knast, als sich in der Illegalität auf die eigenen, unsicheren Strukturen draußen verlassen. ...

Die Beugehaft (die sich nur auf Zeugen bezieht) steht am Ende einer Reihe von Möglichkeiten der Repression den Aussageverweigernden zunächst mit Geldstrafen bedrohen kann. Nichtsdestotrotz ist sie ein brennpunktartiger Ausschnitt, der die reale Gefahr Knast drastisch vor Augen führt. Die Situation für den Zeugen, als auch für den Beschuldigten ist in Bezug auf den Knast generell dieselbe. Die Beugehaft dient zur Erpressung einer Aussage, Benennung von "Tätern". Die persönlichen Folgen der Beugehaft sind eklatant. Neben dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung, der Beziehungen (und auch des Anspruches auf Arbeitslosengeld) kommen dazu die Sorgen um Kinder und die Anhäufung von Schulden.

Beugehaft ist Zivilstrafe und muss grundsätzlich selbst bezahlt werden! (Tagessatz a 20 €) Abstrakt gesagt, hat die Bedrohung des Beschuldigten mit Knast eine ähnliche Funktion. Knast wird eben nicht nur als Sanktion eingesetzt, sondern auch als Erpressungsmittel. Die Bedrohung Knast soll den Beschuldigten zur Kooperation zwingen, diese ihm gleichsam als günstigere Alternative erscheinen. Es herrscht Berührungs- bzw. Auseinandersetzungsangst bezüglich Beugehaft, die Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung ist, die z.B. seiner Zeit in Bochum nach den ersten Beugehaftbeschlüssen einsetzte. Die Überzeugung der Aussageverweigerung als sicherste Verhaltensweise gegenüber Polizei, Staatsanwalt, Staatsschutz etc. wird dabei nicht generell in Zweifel gezogen - nur wird Beugehaft und Aussageverweigerung getrennt behandelt, und wenn überhaupt im Bereich des Individuellen thematisiert. Die Debatten kreisen vordergründig um den Punkt: das Absitzen der Beugehaft ist ein zu hoher Preis für die Aussageverweigerung. Es wird ein Weg zwischen Aussage und Knast gesucht, orientiert wird sich dabei an den persönlichen Folgen. Die politische Konsequenz oder Funktion von Aussageverweigerung wird dabei übergangen. Das Standhalten, bzw. Nachgeben gegenüber Knast/Beugehaft werden zum persönlichen Problem, mit dem sich die Betroffenen herumzuschlagen haben, was der politischen Notwendigkeit der Aussageverweigerung eklatant widerspricht. Fatal - aber auch bezeichnend - ist die Tatsache, dass die Auseinandersetzung um die Beugehaft dann beginnt, wenn Beugehaftbeschlüsse vorliegen - um zu versiegen, wenn die Leute wieder aus dem Knast sind, was doch ein Ausdruck einer Hilflosigkeit ist. Das Wissen um die eigene Erpressbarkeit, die Angst vor Knast und den Folgen, sowie die politische Schwäche, sind für viele Richtlinie ihres Handelns, was zum wiederholten Male auf das Kernproblem Organisierung stößt. Aus unsicherer Haltung heraus wird der Zweifel an die grundsätzliche politische Funktion der Aussageverweigerung sichtbar. Taktisches Kalkül tritt an die Stelle einer konsequenten Aussageverweigerung.

Da wo es mehrere Vorladungen gab, ist eine gemeinsame Vorbereitung noch notwendiger. Diese erfordert entsprechende Bereitschaft, sich mit den eigenen Schwächen, sowie auch mit den direkt Verfolgten zu konfrontieren und darüber hinaus die Bestimmung einer inhaltlichen politischen Position. Es ist wichtig, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, aus der sich als logische Folge kollektive Aussageverweigerung ergibt. Die Auseinandersetzung um Knast, persönliche Situation (auch emotionale) und um das Machbare ist auch hier von Nöten "um die Lücke zwischen abstrakter politischer Bestimmung und persönlicher Konsequenz zu schließen".... Es ist unwahrscheinlich, ein kollektives Vorgehen in allen Details zu praktizieren. Es lässt sich nicht alles "trainieren" und vorausbestimmen. Der Druck auf die Einzelnen bezüglich der Beugehaft ist unterschiedlich. Deshalb erscheint uns also als außerordentlich wichtig eine gemeinsame inhaltliche politische Bestimmung. Sie erfordert von allen ein dem gemäßes Verhalten und dass nicht alles auf die Betroffenen abgeladen wird, diesen mit falscher, nur fordernder und nehmenden Solidarität der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Wie jedem politischen Aktivisten bekannt sein müsste, ist es von großer Wichtigkeit, darauf zu achten, wo, mit wem und über was gesprochen wird. Von uns bekannten Personen haben wir einen staatsanwaltschaftlichen Brief erhalten, der einmal mehr verdeutlicht, dass es keine Privatsphäre in diesem Staat gibt und wir möchten mit der Veröffentlichung noch einmal daran erinnern. Besuche von Angehörigen und Freunden im Staatskerker bilden da keine Ausnahme. Es reicht nicht aus, dass Gespräche durch einen stets anwesenden Vollzugsbeamten "belauscht" werden, denn gerne bedient man sich auch technischer, akustischer Überwachung um Gespräche von Beschuldigten und deren Besuchern aufzuzeichnen.

Falschaussagen

Tatbestand: Falsche uneidliche Aussage Strafrahmen: 3 Monate bis 5 Jahre. Meineid: nicht unter 1 Jahr.

Ein Beschuldigter darf überall lügen, ein Zeuge hingegen ist vor Gericht zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet. Beim Staatsanwalt gibt es zwar keinen Tatbestand der "Falschaussage" , möglich ist jedoch, dass durch eine Falschaussage der Straftatbestand der "Strafvereitelung" erfüllt wird! - Auch deshalb halten wir generell wenig von Falschaussagen. Sie sind immer ein Wagnis, und können zu Verstrickungen oder gar zu Namensnennungen führen. Die Bullen sind aber da nicht blöd, wo sie es sich nicht leisten können. Angesichts ihrer Möglichkeiten, gerade auch technischer Art können Falschaussagen geradezu zu einer immensen Gefahr werden!

Alibiaussagen

Das Fiktive Beispiel:

Vor dem Landgericht ist ein 28 Jähriger Maurer angeklagt, im Zusammenhang mit einer Demonstration den Rechten Arm zum Hitlergruss gehoben zu haben. Er wird kurze Zeit nach der angeblichen Tat von einem Beamten "wiedererkannt" ("an seinem auffälligen Hemd") und verhaftet. Eine Stunde wird er in der Wanne gefangenhalten und muß sich - im rechtsfreien Raum, die üblichen üblen Sprüche anhören. Sodann wird er zwei Stunden von einem Staatsschutzbullen verhört. Der Beschuldigte weiß, daß er zur Tatzeit noch zu Hause war, weit entfernt vorm angeblichen Tatort. Er benennt zwei Freunde als Zeugen für sein Alibi.

Der Trick der Bullen:

Die beiden Freunde werden nicht sofort verhört - was auch eher sehr unangenehm hätte werden können - sondern erst zwei Wochen später vorgeladen!

Dieser Zeitraum diente denn dem Staatsanwalt dazu, die Aussagen der beiden vor Gericht als "abgesprochen" zu bezeichnen.

Dieses Beispiel zeigt zunächst, wie schnell du in so eine Situation geraten kannst. Es zeigt dann, dass ein Alibi, im Bewußtsein seiner "Unschuld" geäußert, keinerlei Gewähr bietet. Ob Alibi oder nicht, die Bullen wollen nur eins: daß geredet wird! Namen, Namen! - der Rest wird sich dann schon finden.

Da zeigt sich, dass ein Rechtsverständnis bürgerlicher Kreise "aber ich bin doch unschuldig" für die Beamten völlig unerheblich, ja fast lächerlich naiv angesichts der Realiltät ist. Die Unschuld interessiert doch die Justiz immer als letztes! Diese Einsicht verringert schlagartig die Hoffnung die du in Aussagen, Kooperation setzt - aber sie muß ersteinmal vorhanden sein!

Entlastungszeugen

Ein Bereich, den wir als äußerst problematisch ansehen. Einerseits kann auch eine gute Verteidigung nicht auf entlastende Zeugen verzichten. Andererseits solltest du deren Stellenwert nicht überschätzen: ein Bullenzeuge, der seine Aussage wenigstens halbwegs auf die Reihe kriegt - und wenns nur ein "der/die wars!" ist - reicht allemal hin.

Daneben lauern auch auf Entlastungszeugen Gefahren, über die vorher Bewußtsein hergestellt werden muss.

Wir haben poplige Beleidigungsprozesse erlebt, in denen es um Geldstrafen ging und bei dem z.B. einem Entlastungszeugen nacheinander folgende Fragen gestellt wurden: "Gehen Sie öfter auf Demonstrationen? Waren Sie auch bei der und der Aktion dabei?" ...

Aussagen bei Gericht bieten die Möglichkeit der Vorbereitung, Zuschauer können sie verfolgen, Klarheit wird so gewährleistet. Eine gemeinsame Diskussion über Sinn und Zweck von Aussagen vor Gericht ist möglich und überdies unbedingt notwendig, um dem Angeklagten keinen Bärendienst zu erweisen. Gerichtsaussagen verlangen also eine gemeinsame praktische und politische Bestimmung, die von Fall zu Fall neu überdacht werden muss. Eine generelle, schlagwortartige Formulierung läßt sich hier u.E. nicht aufstellen.

Wenn du Anregungen oder Fragen zum Leitfaden hast, tritt gerne unserer Diskussionsgruppe auf Telegram bei oder kontaktiere uns über das Kontaktformular.
Diese Seite wurde zuletzt am 27.09.2024 aktualisiert.

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Es liegt an dir selbst, was du für dich und deine Sicherheit übernimmst.