Ein aktueller Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) wirft ein Schlaglicht auf die umstrittenen Praktiken des deutschen Verfassungsschutzes, der offenbar hunderte von Fake-Accounts in sozialen Medien betreibt. Diese Accounts, die häufig als rechtsextrem eingestuft werden, dienen dazu, in beobachteten Chat-Gruppen aktiv zu agieren und die öffentliche Stimmung zu beeinflussen. Ziel dieser Manipulation ist es, ein Klima zu schaffen, das die Verfolgung bestimmter Gruppen rechtfertigt.
Psychologische Operationen und ihre Anwendung
Inhaltsverzeichnis
Psychologische Operationen, auch bekannt als Psy-Ops, sind ein bewährtes Mittel in der Kriegsführung, um den Gegner zu manipulieren. Durch das gezielte Streuen von Falschinformationen sollen Gegner dazu verleitet werden, Informationen preiszugeben oder bestimmte Handlungen vorzunehmen. Während solche Taktiken traditionell gegen ausländische Akteure eingesetzt werden, scheinen die deutschen Geheimdienste zunehmend die eigene Bevölkerung ins Visier zu nehmen. Der Bericht der SZ, veröffentlicht am 19. September, legt offen, dass der Verfassungsschutz ein Netzwerk von gefälschten Social-Media-Accounts betreibt, um gezielt Stimmung zu machen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Geständnisse von Verfassungsschutz-Beamten
In einem Interview mit der SZ haben Beamte des Verfassungsschutzes zugegeben, dass sie ein Netz aus Fake-Accounts betreiben, die rassistische Äußerungen verbreiten und gegen Flüchtlinge sowie politische Gegner hetzen. Diese Taktik soll dazu dienen, die Stimmung in den beobachteten Chat-Gruppen zu beeinflussen und eine Rechtfertigung für die Verfolgung dieser Gruppen zu schaffen. Laut dem Bericht beschäftigt der deutsche Inlandsgeheimdienst Hunderte von „virtuellen Agenten“, die auf Kosten der Steuerzahler operieren.
Die Agenten sind nicht nur auf rechtsextreme Gruppen fokussiert, sondern auch auf linksextreme, islamistische und verschwörungsideologische Szenen. Eine Verfassungsschutz-Agentin erklärte, dass es wichtig sei, sich in diesen Gruppen „warmzulaufen“ und herauszufinden, welche Äußerungen bei den Nutzern Anklang finden. Um glaubwürdig zu erscheinen, sei es notwendig, selbst aktiv zu werden und nicht nur die Aussagen anderer zu teilen oder zu liken. Dies bedeutet, dass die Agenten in den sozialen Medien pöbeln und hetzen, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen und sich in die Gemeinschaft einzufügen.
Die Rolle der Agenten in extremistischen Gruppen
Die Agentin gestand, dass sie sich bewusst sei, dass sie mit ihrem Verhalten Menschen in ihrem Weltbild bestärke. Dennoch sei es Teil ihrer Aufgabe, die Szene zu „füttern“, was bedeutet, dass sie aktiv zur Verbreitung extremistischer Ansichten beiträgt. Frühere Recherchen der SZ haben gezeigt, dass diese virtuellen Agenten eine entscheidende Rolle bei den Ermittlungen gegen die extremistische Chat-Gruppe „Vereinigte Patrioten“ gespielt haben, deren Mitglieder verdächtigt werden, eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben.
Um in die inneren Kreise solcher Gruppen aufgenommen zu werden, müssen die Agenten Zeit investieren und sich über „gemeinsame Freunde“ an die einflussreichsten Mitglieder herantasten. Die Agentin betonte, dass „jeder Mensch Freunde braucht“, um in diesen Kreisen akzeptiert zu werden. Viele der Nutzer, die in diesen Chat-Gruppen aktiv sind, ahnen nicht, wie viele Accounts von Verfassungsschutz-Agenten geführt werden.
Finanzierung und strategische Ausrichtung
Die Finanzierung der Infiltration durch Fake-Accounts wurde bereits 2019 erheblich aufgestockt. Ein anonym bleibender Leiter eines Landesamts erklärte, dass der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, der zuvor im Internet stark angefeindet wurde, als Auslöser für diese Strategie diente. Die Behörden erkannten die Notwendigkeit, ihre Mittel zur Informationsbeschaffung zu erweitern, um extremistischen Tendenzen in der Gesellschaft besser begegnen zu können.
Inzwischen ist die Anzahl der Fake-Accounts so hoch, dass bundesweite Absprachen notwendig geworden sind, um zu verhindern, dass sich die Agenten gegenseitig ins Visier nehmen. Der Verfassungsschutz sieht die große Anzahl an Fake-Accounts als notwendig an, um in die radikalen Zirkel einzudringen, die oft „zwiebelartig“ strukturiert sind. Neue Mitglieder müssen ihre ideologische Haltung unter Beweis stellen, bevor sie in den inneren Kreis aufgenommen werden. Agenten müssen in der Lage sein, schnell und präzise auf Fragen zu reagieren, um nicht aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden.
Psychologische Herausforderungen für die Agenten
Ein hochrangiger Beamter des Verfassungsschutzes räumte ein, dass es eine erhebliche Gefahr gibt, dass Agenten, die den ganzen Tag in sozialen Netzwerken aktiv sind, in die Ideologien der Gruppen abrutschen könnten. Um dies zu verhindern, beschäftigt der Verfassungsschutz Psychologen, die die Agenten unterstützen und überwachen. Diese Psychologen sollen sicherstellen, dass die Agenten emotional und psychologisch stabil bleiben und nicht in die extremistischen Weltanschauungen eintauchen.
Die Herausforderung besteht darin, die Szene zu verstehen, ohne selbst Teil davon zu werden. Der Beamte betonte, dass nicht jeder Agent in der Lage sei, diese Distanz zu wahren. Die Agenten müssen ständig daran arbeiten, ihre eigene Perspektive zu bewahren, während sie gleichzeitig die Ideologien der Gruppen, in die sie infiltrieren, nachvollziehen.
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