Grundsätzlich gilt: Einer Vorladung der Polizei zur Beschuldigtenvernehmung muss man nicht folgen. Einige Polizeibeamten kombinieren die Vorladung daher gern mit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Das Problem hierbei: Oft sind im konkreten Fall keine Fingerabdrücke, Lichtbilder etc. nötig. Dann kommt es zu folgendem Trick: Gemäß § 81b Alt. 2 StPO kann die Polizei selbst die erkennungsdienstliche Behandlung zur Gefahrenabwehr anordnen. Die Maßnahme ist dann nicht Teil des zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens. Vermuten die Ermittler, dass ein Beschuldigter die Vorladung zur Vernehmung ignorieren wird, greifen sie manchmal auf diese Norm zurück und erreichen so, dass der Beschuldigte zu ihnen kommen muss – so jedenfalls die Ansicht bei etlichen Polizisten. In diesem Beitrag klärt Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel aus Cottbus über Irrtümer im Zusammenhang mit der ED-Behandlung auf.
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß § 81b Alt. 2 StPO dürfen Lichtbilder, Fingerabdrücke und ähnliche Messungen und Maßnahmen gefertigt bzw. vorgenommen werden, wenn dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Es handelt sich um eine Norm des Gefahrenabwehrrechts. Die Anordnung ist ein Verwaltungsakt der Polizei.
Gegen diesen Verwaltungsakt kann der Betroffene Widerspruch einlegen. Im Verwaltungsrecht hat ein Widerspruch – ebenso wie eine Anfechtungsklage – grundsätzlich aufschiebende Wirkung, was bedeutet: Wer eine Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Alt. 2 StPO – fast immer verbunden mit einer Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung – erhalten hat, könnte Widerspruch einlegen, und wurde dieser Widerspruch zurückgewiesen, könnte der Betroffene vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme klagen. Er müsste nicht zur erkennungsdienstlichen Behandlung gehen, bis das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abgeschlossen ist. Dies dauert je nach Bundesland zwischen 2 und 5 Jahren.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn hier macht die Polizei sich meist eine weitere Vorschrift aus dem Verwaltungsrecht zunutze: Sie ordnet die „sofortige Vollziehung“ der Maßnahme – also der angeordneten ED-Behandlung – an. Widerspruch und Anfechtungsklage haben in diesem Fall ausnahmsweise doch keine aufschiebende Wirkung.
Also keine Chance, der ED-Behandlung zu entgehen? Mitnichten! Das Verwaltungsrecht sieht auch hierzu einen Rechtsbehelf vor: Der Betroffene kann vor dem Verwaltungsgericht beantragen, dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederhergestellt wird. Dieser Antrag hat in der Praxis oft Erfolg: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss strengen formellen Anforderungen genügen. Insbesondere muss das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet werden. Hierdurch soll der Betroffene in die Lage versetzt werden, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung prüfen zu können.
Schon diesen Anforderungen genügen die Vorladungen nach § 81b Alt. 2 StPO fast nie. Hinzu kommen Fehler bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Schließlich fehlt es sehr häufig bereits an der Grundvoraussetzung der Maßnahme: Es muss eine Wiederholungsgefahr bestehen. Es muss also belegbar zu befürchten sein, der Betroffene werde künftig weiterhin gleichartige Straftaten begehen. Insbesondere bei Ersttätern ist dies nur sehr schwer zu belegen, denn im Ermittlungsverfahren gilt die Unschuldsvermutung. Anträge beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Vorladung zur ED-Behandlung wiederherzustellen, haben deshalb regelmäßig Erfolg.
Was ist zu tun?
Wer eine Vorladung zur polizeilichen Vernehmung und zugleich eine Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gemäß § 81b Alt. 2 StPO erhalten hat, der sollte
- die Vorladung zur polizeilichen Vernehmung ignorieren und
- gegen die Anordnung der ED-Behandlung sofort bei der Polizei schriftlich Widerspruch einlegen.
Gleichzeitig sollte er
- einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beim Verwaltungsgericht stellen.
Wer hiermit einen Strafverteidiger beauftragt, der stellt nicht nur sicher, dass Widerspruch und Antrag den formellen und inhaltlichen Anforderungen genügen; er sorgt auch dafür, dass der Strafverteidiger frühzeitig Akteneinsicht erhält: Zur Begründung des Antrags beim Verwaltungsgericht ist der Strafverteidiger auf Akteneinsicht angewiesen. Verteidigungsmaßnahmen schon im Ermittlungsverfahren führen außerdem häufig zur Einstellung des Verfahrens.
Sträubt sich die Staatsanwaltschaft – etwa aufgrund einer „Gefährdung des Ermittlungszwecks“ – gegen die Gewährung von Akteneinsicht, werden Vorladungen nach § 81b Alt. 2 StPO oft überraschend schnell seitens der Polizei zurückgenommen. Spätestens hier wird dann auch deutlich, dass die ED-Behandlung zur Gefahrenabwehr nicht allzu dringlich gewesen sein kann. Der Betroffene muss im Ergebnis nicht bei der Polizei erscheinen.
…und falls man doch zur ED-Behandlung muss
Zu guter Letzt: Sollte eine Vorladung gemäß § 81b Alt. 2 StPO ausnahmsweise doch rechtmäßig sein, so muss der Adressat zwar die erkennungsdienstlichen Maßnahmen über sich ergehen lassen. Er muss aber nicht mit den Polizeibeamten sprechen, schon gar nicht über irgendeinen Tatvorwurf. Auch darf er vorher selbstverständlich sein äußeres Erscheinungsbild nach Belieben ändern. Und eine DNA-Probe gehört unzweifelhaft nicht zum Erkennungsdienst – sie sollte deshalb stets verweigert werden, wenn nicht ein eigenständiger gerichtlicher Beschluss vorliegt, gegen den es keine Rechtsmittel mehr gibt. Letzteres ist bei Vorladungen, die nur auf § 81b Alt. 2 StPO gestützt sind, so gut wie nie der Fall.
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