Am Landgericht Dortmund sollte am Morgen des 25. Oktober 2021 das Strafverfahren gegen zehn Angeklagte um eine Parole beginnen, die sie bei einer Kundgebung der Partei „Die Rechte“ im Jahr 2018 gerufen haben sollen. Laut Anklageschrift hätten die Teilnehmer „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ skandiert. Rechtlicher Tatvorwurf ist Volksverhetzung gemäß § 130 StGB. Doch ob dieser Spruch wirklich strafbar ist oder eher eine Geschmacklosigkeit, ist selbst für die Staatsanwaltschaft nicht so sicher. Deshalb hat sie ihrer Anklageschrift – mehr als unüblich – ein zehnseitiges Rechtsgutachten vorangestellt, das zu dem Ergebnis kommt, dass der Inhalt des Spruches selbst wahrscheinlich straflos sei, er aber im Zusammenhang mit dem Gesamtgepräge der Kundgebung strafbar werde.
So ist es dann möglicherweise eher politischen Zwängen als dem Strafgesetzbuch geschuldet, dass am 25. Oktober mit großem medialen Begleitprogramm, einschließlich einer dpa-Meldung, die Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer begann. Tagungsort ist der Veranstaltungssaal des Freizeitzentrums West Dortmund, FZW. Laut dessen Eigendarstellung ist es ein „kreativer“ Veranstalter, der Parties und Konzerte für verschiedene jugendliche Subkulturen und musikalische Szenen anbietet.
Das Ambiente ist auch eher dem Voyeurismus als der Rechtsfindung zugeneigt: eine düstere Halle ohne natürliches Licht oder Frischluft, dafür mit zugiger Klimaanlage. Die Angeklagten sitzen mit ihren siebzehn Verteidigern eng zusammengequetscht an drei Tischreihen mit schwarzen Decken, die wenig Platz für die Unterlagen bieten; um die Laptops an den Strom anzuschließen, muss ein Verlängerungskabel herbeigeschafft werden. Das Gericht thront auf der Bühne, auf der sonst verschwitzte Musiker die Teens zum Tanzen bringen. Wenn gerade nicht der Corona-Gott sein Szepter schwingt. Am ersten Tag mussten sie alle dort nicht lange sitzen, denn die Videos, die die fragliche Demo zeigen, waren bislang nicht in dem Aktenbestand der Verteidigung enthalten. Auf diesen Videos soll man am Lippenspiel der Angeklagten ablesen können, ob sie mit skandierten oder nicht. Sie sind somit das wesentliche Beweismittel. Dass gerade sie fehlten, nachdem das (Vor-) Verfahren schon seit drei Jahren läuft, ist bemerkenswert. Folgerichtig beanstandeten die Verteidiger dieses Defizit, woraufhin die Verhandlung ausgesetzt wurde. Lediglich die USB-Sticks mit den Dateien wurden noch ausgeteilt. Ende des ersten Aktes nach dreizehn Minuten. Der geneigte Leser möge selbst beurteilen, ob das Ganze kreativen oder subkulturellen Charakter hat. Am 8. November soll fortgesetzt werden.
LG DO 32 klS600 Js 466/18-19/19
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